Hat ihre Herde fest im Blick: Esel Pauline (4 Jahre) steht mitten in der Schafherde.
  • Hat ihre Herde fest im Blick: Esel Pauline (4 Jahre) steht mitten in der Schafherde.
  • Foto: picture alliance/dpa/Andreas Arnold

„Du kommst hier nicht vorbei!“ Wie Hüte-Esel auf eine ganze Schafherde aufpassen

An ihnen kommt niemand vorbei: Pauline und Tessa passen auf, dass einer Schafherde im hessischen Landkreis Fulda nichts Böses widerfährt. Für diesen Job bringen sie besondere Fähigkeiten mit. Können die Vier-Hufer auch Schutz vor Wolfangriffen bieten?

Friedlich grast eine Schafherde auf der sonnigen Wiese in der Rhön. Plötzlich verlässt ein Esel die Gruppe und trottet auf einen Wanderer zu, der sich den Tieren nähert. Der Esel stellt sich dem Mann in den Weg, mustert ihn kritisch. „Du kommst hier nicht vorbei!“, signalisiert er unmissverständlich. Ein Türsteher vor einem Club könnte nicht mehr Ablehnung ausstrahlen als dieser Esel.

Esel-Herde hilft in Hünfeld (Hessen) beim Naturschutz

Das Tier schnuppert am Rucksack des Mannes, guckt ihn noch mal. Schließlich entspannt sich das Langohr und gibt den Weg frei. Ein zweiter Esel kommt nun näher, auch er beäugt den Wanderer wachsam. „Das sind Tessa und Pauline, meine Hüte-Esel“, erklärt Schäfer Oliver Spies, dem Besucher. 

Hüte-Esel? Was ist das denn? Im Gespräch mit dem Schäfer wird rasch klar: Es handelt sich nicht etwa um Esel mit einer besonderen Vorliebe für Kopfbedeckungen, sondern um ungewöhnliche Helfer beim Aufpassen auf die Herde.

Oliver Spies, Schäfer, steht mit Biene (5), altdeutscher Hütehund, vor der Herde. picture alliance/dpa/Andreas Arnold
Oliver Spies, Schäfer, steht mit Biene (5), altdeutscher Hütehund, vor der Herde.
Oliver Spies, Schäfer, steht mit Biene (5), altdeutscher Hütehund, vor der Herde.

Aus rund 300 Schafen und ein paar Ziegen besteht die Herde. Dazu kommen die beiden Eselstuten und ein paar Hütehunde. Die Herde ist in Sachen Naturschutz unterwegs: Schafe und Ziegen sorgen durch Knabbern an Büschen und Fressen von Gras dafür, dass das Naturschutzgebiet „Weinberg“ nahe Hünfeld nicht von Sträuchern und Bäumen überwuchert wird, sondern weiter ein artenreicher Lebensraum bleibt.

„Pauline und Tessa sind für den Herdenschutz da“, erklärt der 41-Jährige. „Wenn sich jemand nähert, stellen sie sich vor die Herde hin und gucken erst mal, was das für ein Tier ist oder ob das ein Feind oder Freund ist.“ Bis der Schäfer kommt und sagt, dass alles in Ordnung ist.

Hüte-Esel haben besondere Fähigkeiten

Für die beiden Esel muss Spies bei Anschaffung und Unterhalt weniger ausgeben als für seine Hunde. Doch es geht nicht nur ums Sparen: Die beiden Eselstuten haben besondere Fähigkeiten, die Schutzhunde nicht haben. „Hier im Naherholungsgebiet sind sehr viele Spaziergänger mit Hunden unterwegs“, erklärt Sarah Spies. Die 36-Jährige ist Tierärztin in Elternzeit und hilft ihrem Mann ab und zu beim Hüten.

„Ein Herdenschutzhund mit seinem starken Territorialverhalten macht keinen Unterschied, ob das ein Wolf oder ein Hund ist, der sich nähert“, berichtet sie. „Der Schutzhund sagt: ,Du gehörst hier nicht her, ob Du an der Leine bist oder nicht.’“ Deswegen sei es in dieser Gegend nicht möglich, Herdenschutzhunde einzusetzen. Diese Aufgabe übernähmen die beiden Esel, die nicht so aggressiv wie Herdenschutzhunde seien.

Hüte-Esel in der Röhn: Keine Angst vor einem einzelnen Wolf

Angriffe von Wölfen auf Weidetiere hat es in diesem Teil der Rhön noch nicht gegeben, andernorts in dem Mittelgebirge aber wohl. Wie würden sich die Esel verhalten, wenn sich ein Wolf nähert? 

„Vor einem einzigen Wolf hätten Pauline und Tessa keine Angst. Sie würden sich vor die Herde stellen und richtig Rabatz machen,“ glaubt Oliver Spies. „Der Wolf würde dann vermutlich weiterziehen und sich irgendwo anders seine Beute suchen.“ Gegen ein ganzes Rudel von Wölfen könnten die Esel aber nichts ausrichten.

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So einträchtig und entspannt die beiden Eselstuten nach Angaben von Oliver und Sarah Spies ihren Job verrichten, so unterschiedlich seien die Charaktere der Tiere. Die vier Jahre alte Pauline finde Schafe netter als Menschen und möchte nur bei ihren Schützlingen sein. Sie sei gelassener und fokussierter als ihre Partnerin. Die zwei Jahre jüngere Tessa, die in diesem Jahr erstmals mit auf Tour durfte, sei dagegen forscher, neugieriger, interessiere sich für Spaziergänger und suche den Kontakt zu Kindern. „Besonders mag sie es, wenn man sie zwischen den Ohren streichelt“, erzählt der Schäfer.

Schäfer hat Esel selbst ausgebildet für die Schafsherde

Ausgebildet hat er die Esel selbst. Pauline und Tessa sind in einer anderen Schäferei zur Welt gekommen und hatten daher von Anfang an Kontakt zu den wolligen Tieren. Das sei eine wesentliche Voraussetzung für die spätere Karriere als Hüte-Esel. In der Herde gibt es laut Spies eine klare Rangordnung: An der Spitze steht der Schäfer, dann kommen die Hütehunde, dann die Hüte-Esel und schließlich die Schafe und Ziegen.

Die Hütehunde erkennen die beiden Helfer mit den langen Ohren nach Angaben des 41-Jährigen gewissermaßen als Hilfssheriffs an. „Und die Schafe akzeptieren die Esel als Chefs und wissen genau: Die passen auf uns auf.“

Ministerium: Wirkung gegen Wolfsangriffe begrenzt

Nach Ansicht des hessischen Landwirtschaftsministeriums sind Esel sehr vielseitige Tiere. Die Haltung von Eseln, auch zusammen mit Schafherden, werde daher – sofern die Bedingungen aus Sicht des Tierschutzes erfüllt seien – grundsätzlich befürwortet. Esel böten einen gewissen Schutz von kleineren Weidetierbeständen gegen Angreifer, da sie „vergleichsweise wehrhaft und in der Lage sind, Alarm zu schlagen“.

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Ihre Wirkung zum Schutz einer Herde gegen Wolfsübergriffe sei aber begrenzt. „Die Fähigkeit von Eseln, auch durch lautes Schreien Schafe vor Angriffen durch Wölfe zu schützen, ist nicht als verlässliche Form zur Abwehr eines Wolfsangriffs nachgewiesen“, teilt das Ministerium mit. Anders als ausgebildete Herdenschutzhunde, deren Anschaffung und Haltung daher auch vom Land finanziell unterstützt werde, „können Esel keinen effektiven Grundschutz gegen Wolfsübergriffe bieten“.

Die Haltung von Eseln sei aus Sicht des Tierschutzes durchaus anspruchsvoll, erklärt das Ministerium weiter. So sei regelmäßige Hufpflege und mindestens ein weiterer Artgenosse erforderlich, da Esel ein natürliches Bedürfnis nach Nähe hätten. Zudem müsse den Eseln ein Unterstand mit trockener Standfläche zur Verfügung stehen, wenn sie ganztägig auf einer Weide gehalten werden. (dpa/mp)

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