Im Epizentrum der Pandemie: Die Corona-Leugner von Bergamo
Die Bilder sorgten Anfang 2020 für Entsetzen: Militär-Konvois, die stapelweise Särge mit Corona-Toten abtransportierten. Nirgendwo sonst in Europa starben in so kurzer Zeit so viele Menschen an Covid-19 wie in Norditalien. Wie kann es sein, dass ausgerechnet dort Menschen das Virus leugnen?
Sie behaupten von sich, sie seien „das Volk“ und fordern „Freiheit“: Auch in Italien gibt es sie, die renitenten Corona-Leugner, Verschwörungsschwurbler und Impfgegner. Zwar ist die Szene weniger groß und aggressiv als etwa hierzulande – erstaunlich aber ist, dass sie selbst da ihr Unwesen treibt, wo es wahrlich nicht an Belegen für die Existenz dieses tödlichen Virus’ mangelt.
Italien: Kein „Green Pass“, kein Lohn
Er lebe in einer „Apokalypse“, behauptet ein Homöopath aus Bergamo im Gespräch mit dem „Spiegel“. Von Anfang an habe er der Regierung in Sachen Corona nicht geglaubt. Und wie er erklärt er sich die vielen Toten in seiner Stadt? Die seien nicht an einem Virus gestorben, sondern „eine Entscheidung der Regierenden“, so seine krude These.
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So wie er denken auch andere in Bergamo. Immer wieder protestieren sie zu Hunderten gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung, die Schutzimpfungen und – ganz neu – auch den „Green Pass“. Er soll sicherstellen, dass nur Geimpfte, Genesene und Getestete am öffentlichen Leben teilnehmen. Wer kein Zertifikat vorweisen kann, darf von 15. Oktober an nicht mehr in Geschäfte, Gastronomie, Büros und Behörden gehen. Wer sich im Job der Regel widersetzt, wird unbezahlt freigestellt. Auch auf Inlandsflüge, in Fernzüge, Museen und Unis darf nur, wer die 3G-Regel erfüllt.
Ein Problem für die Impfverweigerer, in Italien „No Vax“ genannt. Denn: Kostenlose Corona-Tests gibt es nicht mehr. Erwachsene müssen nun 15 Euro pro Abstrich, Kinder 8 Euro bezahlen.
Bergamo im Frühjahr 2020: „Es war wie im Krieg“
Diese Regelung treibt die „No Vax“ auf die Palme – auch in Bergamo. Einer Stadt, die buchstäblich den Corona-Horror erlebt hat. Bergamo sei das „Epizentrum der ersten Welle in Europa“ gewesen und zum „Symbol der Tragödie“ geworden, sagte Bürgermeister Giorgio Gori während einer Trauerfeier im März 2021. „Es war wie im Krieg.“
In der Tat: Die Armee musste die vielen Toten in Krematorien anderer Städte bringen, weil in den eigenen kein Platz mehr war. Bis zu 70 Särge am Tag wurden von Soldaten abgeholt. Wer in aller Eile vor Ort bestattet werden konnte, erhielt nur ein provisorisches Holzschild als Grabstein.
Eine Schwurbel-Schauspielerin führt die Impfgegner in Bergamo an
Trotzdem gibt es in Bergamo Menschen, die das Virus relativieren und Impfungen verhindern wollen. Sie werden angeführt und angestachelt von Leuten wie Eleonora Brigliadori. Sie ist Schauspielerin – ihr letzter Film kam allerdings 2007 heraus. Seitdem tritt sie eher als spirituelles Medium in Erscheinung – und als Corona-Leugnerin. Auf Telegram verbeitet sie Verschwörungserzählungen von Mikro-Chipping und Impf-Sterilisierung, auf Instagram bezeichnet sie Regierungschef Mario Draghi als „Killer“ und schreibt mit Blick auf Kinder-Impfungen: „Vielleicht ist es besser, in einen Gulag (ehemaliges UDSSR-Straflager, Anm. d. Red.) zu fliehen“.
Für Sonntag riefen Brigliadori und andere Impfgegner zu einer großen Demo in Bergamo auf: Sie werde „spirituelle Gedanken auf die Piazza von Bergamo“ bringen und „alle umarmen, die kommen“ – alles aus Protest gegen den „Green Pass“, so Brigliadori.
„Ich kann nicht wirklich darüber lachen, wenn solche Leute hier demonstrieren“
Für viele Bewohner der Stadt sind die Schwurbel-Schauspielerin und ihre Anhänger unerträglich. Das Nachrichtenportal „Bergamo News“ berichtet von entsetzten Reaktionen auf die Demo im Netz.
So soll ein junger Mann geschrieben haben: „Ich kann nicht wirklich darüber lachen, wenn solche Leute in meiner Stadt demonstrieren. Ich habe zu lebhafte Erinnerungen an die Angst. An die Blicke und Erzählungen der Menschen. An die Verzweiflung und den Schmerz von Freunden und Verwandten.“