„Europas Idioten“: Warum die Corona-Lage im Osten völlig eskaliert
„Es ist die Hölle, wie im Krieg“: Was Ärzt:innen und Pflegekräfte derzeit in Osteuropa erleben, kann sich kaum einer vorstellen. Die Corona-Lage ist katastrophal, die Pandemie wütet in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Wie konnte das passieren?
Nirgendwo in Europa starben binnen 24 Stunden so viele Menschen an Covid-19 wie in der Ukraine: 765 neue Todesfälle wurden am Mittwoch gemeldet. Eine Frau aus der Stadt Donezk schildert der ARD, was sie in einem Krankenhaus erlebt hat: „Uns wurde gesagt, dass auf einer Etage 44 Patienten liegen, alle schon etwas älter. Für 44 Personen gab es eine Pflegerin, einen Bereitschaftsarzt und einen Chefarzt, der alle behandelt.“
Corona in Osteuropa: „So sieht eine Gesundheitskatastrophe aus“
Die Ukraine kämpft wie andere Länder in Osteuropa mit einer Corona-Welle nie gekannten Ausmaßes. Auch in Rumänien ist die Lage schlimm: Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei über 531, fast alle Krankenhäuser sind überbelegt.
Wie dramatisch die Lage ist, zeigt ein Video aus dem Uniklinikum Bukarest, das das rumänische Investigativportal „Recorder“ jüngst unter dem Titel „So sieht eine Gesundheitskatastrophe aus“ veröffentlichte.
„Wer noch sitzen kann und in halbwegs passablem Zustand ist, bleibt im Stuhl. Nur Patienten im kritischen Zustand bekommen ein Bett“, erklärt ein Pfleger in dem Clip und bereitet einen windschiefen Schreibtischstuhl für einen neuen Patienten vor. Eine andere Mitarbeiterin sagt: „Es ist die Hölle, wie im Krieg.“ Teilweise würden sich die Patienten auf den Fluren gegenseitig wegschubsen, um an Sauerstoffgeräte zu kommen, berichtet die Ärztin Victoria Arama. Sie nennt die Lage in Bukarest „apokalyptisch“.
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Eine Krankenschwester fasst schulterzuckend den Frust des Personals zusammen: „Sie sind alle nicht geimpft. Alle nicht!“ In der Tat: Die Impfquoten in allen betroffenen Ländern sind sehr niedrig. Nur 37,6 Prozent der Rumänen sind vollständig immunisiert, im Nachbarland Bulgarien sind es 24,8 Prozent, in der Ukraine gar nur 16,4 Prozent. Die Länder sind damit Schlusslichter in Europa.
Die Impfquote in Osteuropa ist extrem niedrig
„Lasst euch impfen! (…) Gott offenbart sich auch durch die Wissenschaft“, predigte jüngst der rumänische Pfarrer Valeriu Roscan. Tatsächlich ist ein solcher Aufruf von einem rumänisch-orthodoxen Geistlichen aber eine Seltenheit, denn gerade die Gottesdiener dieser Konfession befeuern die Impfskepsis. Erzbischof Teodosie Petrescu aus Constanta etwa behauptet, dass keiner die Verantwortung für die Vakzine trage. Wer sich impfe, „unterschreibt sein Todesurteil“, predigt Teodosie Paraschiv, Mönchpriester im Kloster Durau. Die orthodoxe Kirche, zu der sich 86 Prozent der Rumänen bekennen, ist extrem einflussreich in dem Land.
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Aber auch die Politik ist nicht ganz unschuldig: „Wir haben die Pandemie praktisch gestoppt“, sagte Staatspräsident Klaus Iohannis im Juni, als die Inzidenzen niedrig waren. Anfang Mai wollten sich noch 34 Prozent der Befragten impfen lassen – im September waren es nur noch 16 Prozent, ergaben Umfragen des Bukarester Instituts IRES.
„Europas Idioten“: Drastische Worte in Bulgarien
Auch in Bulgarien war wohl die Politik für die schwache Impfquote mitverantwortlich. Außerparlamentarische nationalistische Parteien wie Ataka (Attacke) und Wasraschdane (Wiedergeburt) leugnen Corona und machen Stimmung gegen das Impfen. Die Werbung für den Piks ließ über den Sommer nach. Hinzu kamen Fake News aus dem Netz.
Angesichts steigender Fallzahlen wurde jetzt in dem Land die 3G-Regel eingeführt. „Sollten wir uns weiter wie Europas Idioten benehmen und uns nicht impfen lassen, werden wir unsere Wirtschaft und unseren Tourismus stark treffen“, warnte der Hauptgesundheitsinspektor Angel Kuntschew.
In der Ukraine scheint die dramatische Verschlechterung der Lage derweil Wirkung zu zeigen: Die Nachfrage nach Impfungen ist deutlich gestiegen. Im Internet verbreitete Bilder zeigten lange Warteschlangen vor den Impfzentren des Landes – erstmals überhaupt.