Gazakrieg: So schlimm leiden die Menschen: „Was wir erleben, ist unbeschreibbar“
Für uns in Deutschland sind es „nur“ Nachrichten: Im Nahen Osten ist der Gazakrieg neu entflammt, Israel und die Palästinensergebiete erleben seit Montag immer neue Wellen der Gewalt. Doch für die Menschen vor Ort ist es zum Teil die Hölle: „Was wir erleben, ist unbeschreibbar“, erzählen sie. Nicht nur die Bomben sorgen für Todesangst – manchmal sogar die eigenen Nachbarn.
Die Spirale der Gewalt schraubt sich täglich höher: Allein bis Donnerstag hat die Hamas 1600 Raketen auf Israel geschossen, die israelische Armee bombardierte ihrerseits mehr als 600 Ziele der radikalen Islamisten. Die Leidtragenden auf beiden Seiten: Kinder, Frauen, Männer – die einfache Bevölkerung. In Israel starben bislang sechs Zivilisten und ein Soldat durch Geschosse, die Palästinenser zählten bis Donnerstag 87 Opfer.„Die Zivilisten sind immer schutzlos“, sagt der Politikwissenschaftler Usama Antar zum „Deutschlandfunk“. Er lebt mit seiner Familie im Gazastreifen und schilderte: „Was wir erlebt haben, war unbeschreibbar.“
Einen Tag habe es um 6 Uhr früh 80 Bombenangriffe in nur fünf Minuten im Umkreis von zwei Kilometern gegeben. „Ich habe eine kleine Tochter, die schrie vor Angst“.Auch auf israelischer Seite fallen Bomben. Die Schweizerin Tina Fivaz, die seit einiger Zeit in Tel Aviv lebt, berichtet der Zeitung „Blick“ über ihre Nächte im Schutzbunker: „Man ist in diesem Keller, drei bis vier Meter unter der Erde, und hört nur noch eine Explosion nach der anderen. Es sind richtig laute Schläge und es hallt. Die Vibration ist auch spürbar. Man weiss aber nicht, ob das eine Rakete ist, die gleich einschlägt oder ob das der Iron Dome (das israelische Raketen-Abwehrsystem, Anm. d. Red.) ist.“
Antar sagt: Im Gegensatz zu den Häusern in Israel hätten die Häuser in Gaza keine Bunker. Es gebe nur einige große Gebäude mit einem Keller. Das sei mit ein Grund, warum die zivilen Opfer auf der palästinischen Seite so hoch seien. „Wir wissen, dass wir nicht gezielt bombardiert werden, weil wir unschuldige Menschen sind. Wir sind Zivilisten. Wir sind keine Kämpfer.“
Israel und Gaza: Die Angriffe sind so heftig wie nie
Die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas ist keine neue Entwicklung – bereits 2008, 2012 und 2014 flogen Raketen und Bomben – doch dieses Mal sind die Angriffe aus Gaza so heftig wie nie. Und Israel schlägt genauso hart zurück: Ziel seien unter anderem Kommando-Orte und Raketenverstecke der Hamas, so ein Sprecher. Das israelische Militär bereitet derzeit eine mögliche Bodenoffensive in Gaza vor.Doch der Krieg findet nicht nur zwischen den beiden Parteien statt, auch lokale Bevölkerung bildet zusehends Fronten gegen einander.
Die Frage, ob der Gegenüber ein Freund oder Feind ist, prägt derzeit das Miteinander: „Es ist das erste Mal, dass ich Angst vor meinen Nachbarn habe“, erzählt Gil Gabay im „Spiegel“. Sie ist eine jüdische Israelin und wohnt in einem Mehrfamilienhaus in der Kleinstadt Lod. Schon vor der aktuellen Eskalation galt Lod als Brennpunkt von Kriminalität, doch nun hat sich die Lage vor Ort weiter verschärft: Am Montag erschoss ein Jude unter bislang noch ungeklärten Umständen einen arabischstämmigen Mann. Sein Tod brachte wütende Araber auf die Straßen der Stadt. Sie bewarfen Polizisten mit Steinen, zündeten Autos an und brachen in eine Thoraschule ein, wo sie Feuer legten und Gebetsbücher verbrannten. Die israelische Polizei antwortete mit Blendgranaten.
Die Menschen haben Angst vor ihren eigenen Nachbarn
In der Nacht zum Mittwoch schoss die Hamas dann erneut Raketensalven auf Israel. Die Sirenen heulten auch in Lod, ein Zeichen für die Anwohner sich in Sicherheit zu bringen. „Wir haben keinen Schutzraum“ sagt Gabay. „Normalerweise hätten wir den Alarm im Treppenhaus abgewartet.“ Doch in dieser Nacht traute sich die Familie nicht auf den Flur zu ihren Nachbarn. Die Angst vor den Anderen beherrscht beide Seiten: Der Palästinenser Muhamed Khalili wohnt mit seiner Familie im selben Haus wie Gil Gabay. „Wir Nachbarn hatten immer ein gutes Verhältnis“, erzählt er dem „Spiegel“. „Aber jetzt habe ich meiner Familie gesagt: Geht nicht ins Treppenhaus, wenn der Raketenalarm kommt. Ich weiß nicht, was die Juden über uns denken.“ Er hat Angst, dass sie für die abgebrannten Autos auf der Straße verantwortlich gemacht werden.
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Klar ist: Die Raketen treffen Juden und Araber gleichermaßen – obwohl der Großteil von ihnen die aktuelle Eskalation nicht wollte. „Die meisten Zivilisten haben keinen Bezug zur bewaffneten Politik der Hamas“, sagt etwa Politik-Analystin Reham Owda über die Palästinenser zur „taz“. „Die meisten wollen einfach in Frieden und Sicherheit leben.“ Das wünschen sich sicher auch viele Israelis. Der Krieg aber dürfte noch länger dauern, das haben beide Seiten bereits angekündigt. Doch es gibt auch Hoffnung: Jüdische und arabische Israelis wollen an mehreren Orten gemeinsam für den Frieden demonstrieren.