Gentechnik auf dem Teller? EU plant Lockerungen für die Landwirtschaft
Gentechnik auf Feldern und kurz danach auf unseren Tellern – bei dem Gedanken schaudert’s viele Menschen. Aber ist das Vorurteil gegen genveränderte Lebensmittel noch zeitgemäß? Schließlich hat die Forschung große Fortschritte gemacht – und gewisse Änderungen im Erbgut von Pflanzen könnten die Landwirtschaft sogar nachhaltiger machen. Die EU schlägt jetzt vor, einige Regeln zu lockern.
Viele gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel sollen in der EU künftig einfacher erforscht und ohne spezielle Kennzeichnung verkauft werden können. Die EU-Kommission will entsprechende Züchtungen von den strengen Gentechnik-Regeln ausnehmen. Bedingung: Die neuen Pflanzen müssten auch durch herkömmliche Züchtungsmethoden entstehen können.
Das geht –zum Beispiel mit Crispr/Cas. Das ist der futuristisch klingende Name einer Genschere. Ähnlich wie mit einer normalen Schere können damit in der Pflanzen-DNA einzelne Gene entfernt oder ausgetauscht werden. So kann man zum Beispiel Getreide züchten, das weniger Wasser und weniger Pestizide braucht.
Die Gen-Züchtungen sind nicht von herkömmlichen Pflanzen zu unterscheiden
Die so „zurechtgeschnittenen“ Eigenschaften werden auf natürliche Weise an die nächste Generation vererbt. Die Pflanzen sind also später nicht von „normalen“ Pflanzen zu unterscheiden. Und: Es gelten weiter dieselben Sicherheitsvorgaben wie für herkömmliche Züchtungen, durch Kreuzung und Auslese. Für weitgehendere Eingriffe, zum Beispiel das Einbringen von Genen aus einem Bakterium in Maispflanzen, sollen auch in Zukunft die strengen EU-Gentechnik-Regeln gelten.
Was sagt die Politik? Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger von der FDP ist dafür: Man könne es sich nicht leisten, auf die Errungenschaften der neuen Techniken zu verzichten, sagt sie. Größere Ernteerträge oder hitzetolerantere Pflanzen seien dadurch schnell und mit kleinerem Aufwand als bisher möglich. Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen sieht das anders: Der Vorschlag ermögliche es, dass große Mengen an gentechnisch veränderten Pflanzen ohne Kennzeichnung auf die Äcker und letztlich in die Supermärkte gelangen könnten: „Das halte ich für falsch.“
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank sagte im MOPO-Gespräch kürzlich: „Wir brauchen eine große Technologieoffenheit, wenn wir auf die großen Krisen dieser Welt gucken. Und die Ernährungskrise gehört dazu, genauso wie die Klimakrise, die mit Dürren einhergeht, mit Artenschwund. Auch als Wissenschaftssenatorin bin ich dagegen, bestimmte Sachen kategorisch auszuschließen, sondern für vernünftige Abwägungen.“ Sie gab allerdings zu: „Grüne Gentechnik ist ein großes Spannungsfeld in der Partei.“
Bei Öko-Lebensmitteln sollen neue Gen-Verfahren nicht eingesetzt werden
Viele Forschende und führende wissenschaftliche Organisationen drängen auf eine Deregulierung und sehen darin kein erhöhtes Risiko für Menschen und Umwelt.
Bei Öko-Lebensmitteln sollen die neuen Gen-Verfahren nicht eingesetzt werden dürfen. Um eine Koexistenz sicherzustellen, sollen die EU-Länder laut Kommission Maßnahmen beschließen, beispielsweise einen gewissen Abstand zwischen Feldern. Viele Bio-Bauern sehen das Ganze trotzdem kritisch.
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„Widerstandsfähigere Pflanzen mit weniger Dünger – an den Versprechen der neuen Gentechnik ist kein Haken zu erkennen. Noch nicht“, sagt Helge Voss, Biobauer aus Kaaks bei Itzehoe, zur MOPO. „Aber ähnlich war es doch vor einigen Jahrzehnten, als der Konzern Monsanto Pflanzenschutz- und Düngemittel auf den Markt gebracht hat. Damals hieß es, alle Bauern würden davon profitieren. Am Ende machte nur der Konzern die großen Gewinne – zum Leidwesen von Natur und nachhaltiger Landwirtschaft.“
Aber bevor es so weit ist, wird es noch dauern: Bis die Vorschläge Realität werden können, müssen die EU-Staaten und das Europaparlament noch einen Kompromiss aushandeln.