Mariupol Stahlwerk
  • Evakuierung aus dem Stahlwerk in Mariupol.
  • Foto: IMAGO / Cover-Images

Gerettete aus Stahlwerk in Mariupol berichten von Martyrium

Eingesperrt in der Dunkelheit, kaum Nahrung, Tag und Nacht unter russischem Beschuss: Wochenlang erlebten Hunderte Ukrainer:innen in dem harten umkämpften Asow-Stahlwerk in Mariupol die Hölle auf Erden. Am Wochenende konnten mehr als hundert Zivilist:innen aus dem Werk evakuiert werden und berichten von apokalyptischen Zuständen. Aber: Es sind immer noch Menschen eingesperrt – und das russische Militär soll aktuell versuchen, das Werk von allen Seiten zu erobern.

Seit Dienstag soll die Offensive des russischen Millitärs und prorussischer Separatisten auf das Werk laufen. Dies teilte das in dem Werk verschanzte Asow-Regiment der ukrainischen Nationalgarde mit. Das elf Quadratkilometer große Stahlwerksgelände ist die letzte Bastion der ukrainischen Streitkräfte in der russisch besetzten Hafenstadt Mariupol.

Das Werksgelände wird offenbar nicht nur mit Artillerie und aus der Luft beschossen – ukrainischen Medienangaben zufolge sollen Moskaus Truppen auch angefangen haben, das Werk zu stürmen. Kremlsprecher Dmitri Peskow bestritt gestern allerdings, dass russische Soldaten das Gelände stürmten. Es werde nur das Feuer der ukrainischen Truppen niedergehalten, sagte er.

Stahlwerk in Mariupol: Immer noch Zivilisten eingesperrt

Der Polizeichef von Mariupol, Mychajlo Werschynin, sagte unterdessen der BBC, es seien insgesamt 500 Verletzte im Stahlwerk eingeschlossen – 200 davon in kritischem Zustand. Sie kamen am Wochenende nicht mit, als mehr als 120 Menschen mit internationaler Hilfe gerettet werden konnten. Der Großteil der Evakuierten Menschen kam in der ukrainisch kontrollierten Stadt Saporischschja an. Viele von ihnen sind im Schockzustand, können es noch nicht begreifen, dass sie gerettet sind, Tränen der Erleichterung flossen.

In das Areal, das von einem Labyrinth aus Schächten, Tunneln und Bunkern unterkellert ist, waren die Zivilisten in den letzten Wochen seit Kriegsbeginn geflohen, als sie sich noch in der Stadt frei bewegen konnten – und Schutz vor Bombardierungen auf ihre Wohnhäuser suchten.

Evakuierte, vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen, berichten nun, dass sie mehr als einen Monat ohne Sonnenlicht gelebt hätten. Russische Bombardements trafen den weitläufigen Komplex so hart, dass Staub von der Bunkerdecke rieselte. Auch Anna Saitsewa und ihr sechs Monate alter Sohn wurden am Wochenende evakuiert. „Es war schrecklich“, so Saitsewa, als sie in Saporischschja aus dem Evakuierungsbus aussteigt.

Augenzeugen berichten aus belagertem Stahlwerk in Mariupol

„Wir standen unter ständigem Beschuss, schliefen in improvisierten Betten, wurden von den Explosionen zu Boden geworfen“, schildert die Mutter. Und das alles mit einem Säugling. Soldaten hätten Babymilch für sie organisiert. Als die nicht mehr aufzutreiben war, hätten sie Grieß besorgt, den sie über einer Kerze gekocht habe.

Im Werk sei es lebensgefährlich gewesen, Wasser zu beschaffen.„Um Wasser zu holen, mussten wir uns zwischen den Gebäuden bewegen. Die Männer haben das für uns gemacht, auch mein Vater“, sagt Saitsewa. „Er wurde verletzt, aber Gott sei Dank nicht tödlich“, fügt die junge Mutter hinzu. In ihrem Teil des Tunnels seien etwa 70 weitere Menschen untergebracht gewesen. Dreimal habe sie versucht, von dort zu fliehen. Weil keine Hilfe von außen kam, dachte Saitsewa, sie seien vergessen worden. „Aber am Ende stellte sich heraus, dass das nicht stimmte.“

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Auch Stahlwerk-Mitarbeiterin Elyna Zybultschenko gehört zu den Geretteten. „Sie bombardierten uns jede Sekunde. Alles bebte, Hunde bellten und Kinder schrien“, berichtet sie. „Aber das Schlimmste war, als man uns sagte, dass unser Bunker einem direkten Treffer nicht standhalten würde. Uns war klar, dass der Bunker zum Massengrab werden würde und uns niemand retten könnte.“

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Gegenüber dem „Spiegel“ berichtet eine 18-jährige Studentin, dass ihr Freund, ein Asow-Stahlarbeiter, sie zu Kriegsbeginn auf das Stahlwerk-Gelände holte und später verwundet wurde. Auch sah sie, wie eine andere Frau vor ihren Augen starb. Zwei Monate hätten die ukrainischen Soldaten sie mit Lebensmitteln versorgt. „Sie haben uns verteidigt und für uns auf Essen verzichtet.“ Weiter sagt sie: „Sie sind unsere Helden.“ (alp/afp)

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