Intensivpfleger schildert Corona-Alltag: „Glauben Sie mir, das macht was mit einem“
Berlin –
Auf der Bundespressekonferenz hat Intensivpfleger Ricardo Lange auf die prekäre Lage und die hohe Belastung des Personals in den Krankenhäusern aufmerksam gemacht. Täglich mit Schwerkranken, Tod und Hoffnungslosigkeit konfrontiert arbeiteten viele Pfleger sowohl körperlich als auch psychisch am Limit – und doch gebe es kein Konzept, das das Personal entlasten könne.
„Stellen Sie sich vor, Sie betreuen eine Mutter um die 50 mit zwei Kindern über mehrere Wochen, kämpfen wochen-, monatelang gemeinsam mit der Familie um das Leben dieser Patientin, telefonieren täglich mit den Kindern. Und irgendwann kommt der Tag, an dem der Arzt die Familie anrufen und ihr mitteilen muss, dass die Mutter die Nacht nicht überleben wird.“ Anhand dieses traurigen Beispiels versuchte Ricardo Lange, der nach eigenen Worten aus Brandenburg kommt und für eine Zeitarbeitsfirma arbeitet, deutlich zu machen, mit welchen traurigen Schicksalen es das Pflegepersonal auf den Intensivstationen in Corona-Zeiten tagtäglich zu tun hat.
„Legen die Leichen in schwarze Plastiksäcke und ziehen den Reißverschluss zu“
Auch vor der Pandemie seien Menschen auf den Intensivstationen gestorben, so Lange, aber unter anderen Umständen: Sowohl beim Verschlechterungsprozess, als auch beim Tod des Patienten sei die Familie anwesend gewesen, habe den Sterbenden „ohne Handschuhe, ohne Schutzkittel, ohne Visier“ anfassen und begleiten können. Nach dem neuen Infektionsschutzgesetz dürften Familien jedoch erst kommen, wenn sich abzeichne, dass der Patient in Kürze versterben werde, erklärt der Intensivpfleger. Das letzte Bild, das die Sterbenden sähen, seien Angehörige in kompletter Schutzmontur, es gebe keinen körperlichen Kontakt.
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Nach dem Tod müsse das Pflegepersonal die vielen Leichen in schwarze Säcke legen und den Reisverschluss zuziehen – „und glauben Sie mir, das macht was mit einem“, sagt Lange. Auf den Intensivstationen würde das Personal vor allem die schweren Verläufe sehen, eine Art „Betriebsblindheit“, erklärt er. Diese „Betriebsblindheit“ wolle er an diejenigen weitergeben, die keine Berührungspunkte mit schwer Erkrankten hätten. Denn ihm blute das Herz, wenn er sehe, wie „jahrelange Freundschaften“ an den Debatten über Corona-Maßnahmen zerbrechen. Lange appelliert an seine Mitbürger: „Wenn man seine Meinung äußert, sollte man genau überlegen, wie man das tut.“
Intensivstationen am Limit: Pfleger fordert Konzept
Seit einem Jahr spreche man darüber, man wolle die Intensivstationen nicht überlasten, so Lange. „Wenn es eine Intensivstation aber nicht mehr schafft, alle aufkommenden Patienten – ob Corona-Patienten, Menschen nach einem Schlaganfall oder Autounfall – zu beherbergen und andere Bereiche der Klinik zu provisorischen Intensivstationen umfunktioniert werden müssen, dann ist die Intensivstation überlastet – da gibt es meiner Meinung nach keinen Interpretationsspielraum.“
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Lange forderte vom Bundesgesundheitsministerium ein „schlüssiges und funktionierendes“ Konzept, das solche Szenarien verhindern und das Pflegepersonal in ihrer Arbeit unterstützen könne. (prei)