• Ein Passant mit Mundschutz geht durch die Innenstadt von Auckland.
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Knallhart zu 0 Neuinfektionen: Dieses Land zeigt: So geht Lockdown richtig

Wellington –

Kaum Neuinfektionen, keine Kontaktbeschränkungen, offene Geschäfte und rappelvolle Sportstadien – das Leben in Neuseeland erscheint vielen Deutschen wie ein Traum. Die „Kiwis“ haben Corona besiegt. Doch wie hat der kleine Inselstaat das geschafft? Mit strikten Maßnahmen – und einer Strategie, die Deutschland als Vorbild dienen könnte. 

Kinderchöre und volle Kirchen an Weihnachten und großes Feuerwerk an Silvester – so hat Verena Friederike Hasel die Feiertage und den Jahreswechsel erlebt. Denn: Die Autorin und Journalistin lebt in Neuseeland. In dem Inselstaat im südlichen Pazifik ist vielerorts wieder ein fast normales Leben möglich – dank strenger Corona-Maßnahmen, mit denen die ohnehin schon niedrigen Zahlen vollends niedergerungen werden.

Neuseeland reagierte auf Corona mit Schulschließungen und Homeoffice-Pflicht

Den Start machte ein harter Lockdown im vergangenen Frühjahr. Mit einer Sirene direkt aus ihrem Handy wurde Hasel bei einem Strandbesuch überrascht: „Notfallmeldung“ habe auf ihrem Display gestanden, schreibt sie in der „Zeit“. Die Nachricht: „Wir zählen auf dich. Dort, wo du heute Abend bist, MUSST du von nun an bleiben. Lasst uns alle unseren Teil dazu beitragen, Covid-19 zu besiegen.“

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Fast überall galten strenge Corona-Regeln an Silvester. In Neuseeland konnten die Menschen ohne jegliche Einschränkungen feiern.

Foto:

dpa/AP

Und dann ging es ganz schnell: Homeoffice wurde verpflichtend, Schulen blieben zu, Busse und Bahnen fuhren nicht mehr, sogar die Arbeit an Baustellen blieb liegen. Mit dem Auto durfte man nur noch zum Supermarkt, das wurde teils sogar von der Polizei kontrolliert. „Diese Einschränkungen wogen auch deshalb so schwer, weil das Leben in Neuseeland eigentlich draußen stattfindet“, so Hasel. „Neuseeländer besitzen Boote, Surfboards und SUPs, aber zu Hause haben sie nur wenig Komfort. Und nun wurden all die spartanisch eingerichteten Küchen und Wohnzimmer mit einem Mal zum Hauptaufenthaltsort.“

Sobald irgendwo Corona-Fälle auftauchen, wird die betroffene Region abgeriegelt

Aber es hat sich gelohnt: Die Zahl der Neuinfektionen ist schon seit Mitte April überwiegend einstellig, sank zwischendurch sogar auf null. Als eines der wenigen Länder hat es Neuseeland geschafft, die Kurve flach zu halten: Nur 2320 Infektions- und 25 Todesfälle wurden Stand gestern seit Pandemie-Beginn gemeldet – bei rund 5 Millionen Einwohnern.

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Die Strategie: strikte Einreiseregelungen mit Quarantäne-Pflicht – und: Sobald irgendwo Corona-Fälle auftauchen, wird die betroffene Region abgeriegelt und geht in einen harten Lockdown, bis die Fallzahlen wieder gesunken sind – im Rest des Landes lebt man aber nahezu unbehelligt weiter. Die neuseeländische Wirtschaft erholt sich nach starken Einbußen schneller als erwartet vom drastischen Frühjahrs-Lockdown – auch wenn die Aussichten in manchen Branchen wie etwa dem Tourismus weiter trüb sind.

Neuseeland als Vorbild für die „No Covid“-Strategie

Mit dem Fokus auf einzelne Regionen und Knallhart-Lockdowns schon bei niedrigen Inzidenzen gilt Neuseeland als Vorbild für die „No Covid“-Strategie, die ein Team von 13 Wissenschaftlern auch für Deutschland vorgeschlagen hat. Bisher wird hierzulande eine Inzidenz von 50 als Marke für größere Lockerungen angesehen – die Autoren des „No Covid“-Papiers halten das nicht für ausreichend. Sie wollen die Inzidenz auf unter 10 senken – und in solchen „grünen Zonen“ wieder Normalität herstellen. Die dortigen Lockerungen sollen dann anderen Regionen als Ansporn dienen.

Nicht zu verwechseln ist dieser Vorschlag mit der „Zero Covid“-Strategie, die einen vierwöchigen Komplett-Shutdown vorschlägt, durch den die Inzidenz auf null gedrückt und die Pandemie in einem Kraftakt überwunden werden soll. Dieses Vorgehen wird von den „No Covid“-Verfechtern  wegen der wirtschaftlichen Folgen abgelehnt.

Neuseeland und Deutschland nur bedingt vergleichbar

Nun gibt es zwischen Neuseeland und Deutschland gravierende Unterschiede: Neuseeland ist ein Inselstaat, 17,46 Menschen pro Quadratkilometer leben dort. In Deutschland sind es auf gleicher Fläche 233 Einwohner. Unser Land liegt zudem mitten in Europa – und ist somit geografisch, aber auch wirtschaftlich und kulturell mit den Nachbarländern verbunden. Striktes Abriegeln scheint hier kaum möglich.

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Helfen könnten aber mehr Tests, so die „No Covid“-Verfechter, die ein europaweites Vorgehen vorschlagen. Grundsätzlich ginge es nicht um einen härteren, sondern um einen präziseren und effizienteren Lockdown, sagt Viola Priesemann vom Göttinger Max-Planck-Institut.  Der beinhaltet auch weitreichende Reisebeschränkungen, mehr FFP2-Masken und mehr mobiles Arbeiten.

Eine Frage der Mentalität: „Wir haben’s geschafft!“

Aber können die Europäer überhaupt so viel Zusammenhalt und Selbstdisziplin aufbringen? Dass das Corona-Management in Neuseeland so gut funktioniert, liegt auch daran, dass die outdoor liebenden Kiwis die Maßnahmen mittragen – so unangenehm sie sein mögen. Regierungschefin Jacinda Ardern schwor ihre Landsleute zu Pandemie-Beginn auf ein „Team der 5 Millionen“ und den Leitsatz „Verhalte dich so, als hättest du Covid“ ein.

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern erntete für ihr Corona-Management viel Beifall.

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern erntete für ihr Corona-Management viel Beifall.

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picture alliance/dpa

Hasel sieht einen grundsätzlichen Mentalitätsunterschied: „Im Lockdown ist mir klar geworden, dass die Deutschen im Gegensatz zu den Neuseeländern und Australiern wahre Anarchisten sind“, so die Diplom-Psychologin. „Mitunter scheint es mir, als würden sie überkompensieren: Durch die Nazizeit und das DDR-Regime haben sie erfahren, wie fatal es sein kann, Anordnungen zu befolgen.“

In Ländern wie Neuseeland und Australien gebe es diese historische Prägung nicht. „Hier geht die potenzielle Gefahr in der Wahrnehmung der Menschen nicht von demjenigen aus, der sich an Regeln hält, sondern von all jenen, die sie lax auslegen oder gar übertreten, und man fühlt sich gern als Teil eines Kollektivs.“ Hasel berichtet: Am Ende des Lockdowns habe ihr ein Nachbar auf der Straße zugerufen: „We did it!” – also: „Wir haben’s geschafft!“

„Hinterher sagt man: Ein Glück, dass wir das durchgezogen haben“ 

Aber natürlich ist der neuseeländische Weg nicht nur rosa-rot. Auch Hasel haderte: „Was soll diese dramatische Sirene, woher haben die eigentlich meine Nummer, und ist das überhaupt erlaubt, so einen Heulton ungefragt aufs Telefon zu schicken?“, fragt sie in der „Zeit“.

Doch ihr Resümee ist positiv: „Ein harter Lockdown ist ungerecht und unlogisch, er wirkt hysterisch, eigentlich immer verfrüht, und die Maßnahmen ergeben auf den Einzelnen bezogen nicht unbedingt Sinn. Aber wenn sich trotzdem alle daran halten, sind sie extrem wirkungsvoll, und hinterher sagt man: Ein Glück, dass wir das durchgezogen haben.“ 

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