Lesbisches Pastorinnenpaar: „Wir haben Platz in der Kirche“
Queer und Kirche? Geht das zusammen? Ja, das geht und zwar richtig gut. Diese Botschaft will das lesbische Pastorinnenpaar Ellen und Steffi Radtke aus dem niedersächsischen Dorf Eime von ihrem YouTube-Kanal „Anders Amen“ aus in die Welt schicken. Im Netz besprechen Steffi, die in Eime die evangelische Gemeinde leitet, und ihre Frau über Outing, Kinderwunschbehandlung und Beziehungskrach nahezu alles – und das mit viel Witz, Offenheit und Pepp. Im MOPO-Interview erzählen sie, wie es zu dem Projekt kam, wie sie in der Provinz aufgenommen worden sind – und mit welchem Gegenwind sie zu kämpfen haben.
Vor dreinhalb Jahren wagten die Radtkes den Schritt in die Provinz – und kehrten ihrer bisherigen Heimat Berlin den Rücken. Die beiden Frauen, die sich im kirchlichen Wohnheim ihrer Hochschule zum ersten Mal begegneten, packten die Koffer und düsten in Richtung Eime los, einem 3000-Seelen-Ort in Niedersachsen. Seit vergangenem Jahr können nun nicht nur die Menschen in Eime die Pastorinnen erleben, die seit sieben Jahren verheiratet und seit vergangenem Jahr Mütter einer Tochter sind, sondern die ganze Welt. Das vom evangelischen Kirchenfunk Niedersachsen-Bremen produzierte YouTube-Format „Anders Amen“ ist zu einer Art digitaler Beichtstunde geworden, in der nicht nur queere Gläubige Antworten auf ihre Probleme und Fragen kriegen.
MOPO: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, mit „Anders Amen“ zu starten?
Ellen und Steffi Radtke: Das war, ehrlich gesagt, eine ziemliche Schnapsidee. Wir haben auf dem Empfang eines kirchlichen Trägers mit verschiedenen Personen gesprochen. Auf dem Empfang gab es ziemlich viel Apfelwein und es war ein ziemlich lustiger Abend. Eir haben rumgesponnen und gesagt, dass wir eigentlich eine Daily Soap produzieren sollten. Nach dieser Schnapsidee an diesem feuchtfröhlichen Abend kam dann tatsächlich eine E-Mail, ob wir das Ganze nicht einmal konkretisieren könnten und dann ging es alles sehr schnell und wir haben angefangen Anfang diesen Jahres zu drehen.
Ellen und Steffi Radtke: „Wir haben Platz in der Kirche“
Was wollt ihr mit eurem Format für eine Botschaft schicken?
Wir haben uns auf das Konzept eingelassen, weil wir zeigen wollten, dass das, was wir leben, eben möglich ist in der evangelischen Kirche. Es heißt immer: „Wie, ihr beiden seid Pastorinnen in der evangelischen Kirche, das geht doch gar nicht. “ Und dann sagen wir immer: „Doch das geht und es geht sogar sehr großartig.“ Wir haben Platz in der Kirche.“ Deswegen haben wir gedacht: Das müssen wir zeigen, damit wir nicht immer diese Frage gestellt bekommen.
Eigentlich habt ihr in Berlin gelebt. Warum seid ihr von der Großstadt in die Provinz umgezogen?
Ich, Ellen, wäre auch auf jeden Fall in Berlin geblieben, aber Steffi wollte unbedingt das Dorfleben kennenlernen, sie liebt das Dorfleben über alles – obwohl sie eigentlich in Berlin geboren ist. Steffi hat ihre erste Pfarrstelle dann in Eime bekommen. Die kann man sich nicht aussuchen, sondern die wird einem zugeteilt – für drei Jahre mindestens. Wir kannten damals Eime überhaupt nicht und mussten erstmal auf der Karte nachgucken, wo das überhaupt ist. Doch wir sind dort ganz toll empfangen worden und aus heutiger Sicht müssen wir sagen, der Umzug war das größte Glück.
Lesbisches Pastorinnenpaar wurden herzlich in Eime in Niedersachsen aufgenommen
War es schwer, am Anfang als queeres Paar Fuß zu fassen in eurer neuen Heimat? Habt ihr Anfeindungen erlebt?
Wir wurden in Eime mit offenen Armen begrüßt, oft sage ich sogar, dass das Dorf uns adoptiert hat. Wir sind aufgenommen worden, wie neue Familienmitglieder. Auf dem Dorf kommt es oft nicht so darauf an, mit wem man zusammenlebt, sondern es geht vielen eher darum, ob jemand dafür bereits ist, etwas für das Dorf zu machen. Als man gemerkt hat, dass es Steffi als Pastorin genau um das geht, hat es niemanden mehr interessiert, dass wir zwei Frauen sind.
Würdet ihr sagen, dass euer YouTube-Kanal und vor allem die Kommentarfunktion bzw. der allgemeine Austausch in den sozialen Medien zu einer Art modernem „Beichtstuhl“ geworden sind?
Es ist ganz wunderbar, dass man durch die sozialen Medien immer auch eine neue Anonymität hat. Es ist nicht nur Beichte, dass jemand etwas loswerden will, was er getan hat, sondern es sind auch die ganz alltäglichen Dinge. Wir merken das auch daran: Je nachdem, was wir in unseren Videos besprechen, kriegen wir viele Zuschriften. Menschen wenden sich mit ihren Fragen und Problemen an uns. Als wir in einer Folge erklärt haben, was LGBTQI* ist, haben wir viele Zuschriften von Menschen bekommen, die sich elementare Fragen ihrer Identität gestellt haben.
Was für Probleme treibt die Menschen in eurer Gemeinde um? Welche Menschen suchen Rat bei euch?
Das kann man schwer kategorisieren, es sind aber schon 60-70 Prozent der Menschen, die sich dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Gerade jetzt werden es vor allem immer mehr die „Nach Corona Probleme“: Es kommen die Menschen, die in der Pandemie vergessen worden sind, also zum Beispiel Kinder und Jugendliche. Es sind aber auch viele alleinerziehende Eltern, bei denen viel aufgewirbelt worden ist. Es sind Menschen, die vorher schon mit Einsamkeit und Allein-Sein zu tun hatten. Auch queere Menschen, die „nur“ in Wahl-Familien leben und keinen Kontakt mehr zu ihren Herkunftsfamilien haben.
In welchen Bereichen habt ihr durch euren „frischen Wind“, den ihr mitbringt, in eurer Gemeinde, eurem Ort, positiven Einfluss? Spürt ihr den?
Wir merken es, dass bei Steffi die Gottesdienste viel mehr besucht sind als früher. Das ist großartig. Außerdem spüren wir, dass wenn wir mit vielen Themen offen umgehen, andere Menschen sich auch trauen, offener zu sein. In einer Gemeindegruppe ging es einmal darum, dass wir uns manchmal ganz schön heftig streiten, dazu gab es auch mal ein YouTube-Video, das viele Menschen gesehen haben. Das war so ein Aufhänger, auch mit Menschen aus unserer Gemeinde, für sehr viele Gespräche. Da haben wir gemerkt: Das ist gut, von sich etwas preiszugeben, das animiert die anderen dann auch wiederum. Gerade auch bei den jungen Menschen, Jugendlichen ist das toll, vor allem in den Bereichen Liebe und Freundschaft ist da ja einiges mit Scham besetzt.
Ellen und Steffi Radtke: Kritik kommt häufig von Männern aus konservativen Kreisen
Von welchen Seiten erhaltet ihr Gegenwind und in welcher Form?
Wir sagen immer, das sind die christlichen Fundamentalisten mit dem Gegenwind. Es sind größtenteils Männer, das kann man da schon sagen, die aus sehr konservativen Kreisen kommen. Also aus der absoluten Minderheit bei uns in der evangelischen Kirche. Das sind manchmal einfach nur Bibelverse, die sie uns um die Ohren hauen, das sind manchmal aber auch schon richtig eklige Briefe gewesen.
Es sind Zuschriften, in denen uns die Hölle gewünscht wird. Aber: Es gibt da eigentlich keine Kommentare, die uns noch verletzten. Nicht weil wir „immun“ geworden sind, sondern weil wir schon so lange für die Kirche arbeiten und das eben kennen. Vor allem diese Leute, die immer sagen, sie seien bibeltreu – und uns angreifen. Ich kann es mir aber nicht vorstellen, bibeltreu zu sein und gleichzeitig anderen Menschen so viel Schlechtes an den Hals wünschen zu wollen. Das trifft sich für mich einfach nicht mit bibeltreu.
Ich selbst habe nur einmal richtig schwer reagiert, als bekannt geworden ist, dass unsere Kinderwunschbehandlung positiv gelaufen ist und ich schwanger geworden bin. Da kamen ein paar eklige Kommentare dieser „bibeltreuen“ Menschen, dass sie uns eine Missgeburt wünschen. Es fällt mir schwer anzunehmen, dass Menschen, die sich christlich nennen, zu solchen Kommentaren fähig sind.
Was muss sich, eurer Meinung nach, in der evangelischen Kirche ändern? Wo gibt es Rückstände, Hindernisse?
Da gibt es viel. Aber ich glaube, dass Kirche sich zu 80 Prozent mit ihren Angeboten an Menschen richtet, die studiert haben. An Menschen, die zu Orgelkonzerten gehen. Alle anderen Menschen werden nur bedacht indem sie Empfänger von diakonischen Handlungen sind, also als Hilfsbedürftige. Ich erlebe es sehr selten, dass kirchlich viel los ist in den Bereichen, in denen Menschen nicht die akademische Sprache sprechen oder sozialschwach sind. Da hat die Kirche den Anschluss an ganz große Bevölkerungsgruppen verpasst. Warum gehört es zu einem Portfolio einer Pastorin, eines Pastors, dass er oder sie sich mit Bach auskennt, aber nicht weiß, was das Dschungelcamp ist?
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Wie sieht für euch eine zeitgemäße, evangelische Kirche aus?
Eine zeitgemäße Kirche muss so sein, wie sie vor Ort jeweils gebraucht wird und die sieht ganz anders aus bei uns in Eime als in Berlin-Köpenick. Kirche tut sich keinen Gefallen damit, an allen Orten immer das gleiche anzubieten, wie zum Beispiel jeden Sonntag diesen einen Gottesdienst in der gleichen Form. Außerdem sollte sich eine zeitgemäße Kirche nochmal umgucken, was das Digitale angeht.
Es ist nicht mehr so, dass die Menschen nur noch da aktiv sind, wo sie leben. Es braucht eine andere Form der Zusammengehörigkeit, der Spiritualität. Da muss die Kirche sich noch mehr auf eine Aufrufbarkeit ausrichten, in dem sie dann da ist, wenn die Menschen sie brauchen. Wir brauchen viel weniger Steine im Sinne von Gebäuden, sondern viel mehr Lust am Menschen.