Nach Buch-Aus: In Deutschland tobt die „Winnetou“-Debatte
Ach, du lieber Manitu: 110 Jahre nach dem Tod von Karl May tobt in Deutschland eine Debatte über seinen Kinderbuch-Helden Winnetou. Die Kontrahenten beschimpfen sich gegenseitig als Rassisten und Winnetou-Killer. Wie kommt man da wieder raus?
Seitdem vergangene Woche die Firma Ravensburger zwei Bücher aus dem Programm nahm, die zum aktuellen Kinder-Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“ erschienen, erhitzt Mays fiktiver Kult-Held die Gemüter (die MOPO berichtete). Der Vorwurf der kulturellen Aneignung, also der Übernahme von Ausdrucksformen aus einer anderen Kultur, steht im Raum. Und schlimmer noch: der des Rassismus. Gestern dann die Nachricht: Die ARD strahlt keine „Winnetou“-Filme mehr aus – wegen abgelaufener Lizenzen. Das ZDF wolle die Kult-Filme mit Pierre Brice hingegen weiter ausstrahlen.
Debatte um „Winnetou“-Film beschäftigt Deutschland
In der hitzigen Debatte gaben zahlreiche bekannte Persönlichkeiten in den vergangenen Tagen ihren Beitrag zur Diskussion, in den sozialen Netzwerken ging es ziemlich rau zu: Die Kontrahenten beschimpfen sich dort gegenseitig als Rassisten und „woke“ Winnetou-Killer. Das Karl-May-Museum in Radebeul sprach von einer „Winnetou-Cancellation“.
Carmen Kwasny, Vorsitzende der „Native American Association of Germany“, kritisiert hingegen in einem Deutschlandfunk-Interview, dass der Kinderfilm zahlreiche Klischees transportiere, zum Beispiel bei den Requisiten mit Tierschädeln und Federn.
Dass die amerikanischen Ureinwohner bei May alles andere als realistisch dargestellt werden, ist unstrittig. Nun war der Autor allerdings kein Wissenschaftler, sondern ein Romanschriftsteller. Seine größte Gabe war seine Fantasie. Seine Bücher waren vielleicht weniger ein Abbild Amerikas als ein Spiegel deutscher Sehnsüchte im Zeitalter der Eisenbahnen und Dampfschiffe. So kann man Karl May also durchaus vorwerfen, dass er Halbwahrheiten über fremde Völker verbreitete, um selbst groß rauszukommen. Aber ist das im Ergebnis so schlimm?
Kultur sei letztlich immer kulturelle Aneignung, „und zwar bestimmt nie auf der Ebene der Wirklichkeit, die es ja so sowieso kaum gibt, sondern immer im Sinne der Stilisierung, der Verformung“, kommentiert der Literaturkritiker Ijoma Mangold im Micky-Beisenherz-Podcast „Apokalypse & Filterkaffee“. Als Folge von Mays Erfolg – die Gesamtauflage wird heute auf 200 Millionen geschätzt – wurden die amerikanischen Ureinwohner in kaum einem anderen Land der Welt so verehrt wie in Deutschland.
Experte: Karl May hat vielen Menschen „emotionales Erlebnis vermittelt“
„Man muss sich doch auch anschauen: Was sind die Werte, die in Karl Mays Büchern vermittelt werden?“, meint Michael Petzel, Geschäftsführer des Karl-May-Archivs in Göttingen. „Das sind Freundschaft, Gerechtigkeit, auch Widerstand gegen Unterdrückung. Friedensliebe. Ich habe oft genug mit Menschen fortgeschrittenen Alters gesprochen, die mir gesagt haben: „Karl May hat mir nicht nur ein riesiges emotionales Erlebnis vermittelt, indem ich durch ihn in eine andere Welt eingetaucht bin, sondern er hat mir ein moralisches Gerüst gegeben, das mich mein ganzes Leben begleitet hat.“
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Doch auch ein positives Bild kann ein Stereotyp sein, das einer ganzen Bevölkerungsgruppe pauschal bestimmte Eigenschaften zuschreibt. Tyrone White, ein im Rheinland lebender Indigener, wirft den Deutschen vor, dass bei ihnen nur Platz ist für die von May entworfene Fantasie – die Realität werde davon komplett überlagert. Und die Lösung der Debatte? Autor Hasnain Kazim meint: „Kritik kann man an den Büchern, an ,Winnetou‘, an dem Wort ,Indianer‘, an Karl May ausüben. Doch die, die diese Kritik üben, müssen diese Bücher und den Film aushalten.“ (alp/dpa)