Jakobsweg Ballermann Spqnien
  • Es werden immer mehr: Jakobsweg-Pilger:innen im Zentrum von Santiago de Compostela.
  • Foto: picture alliance/dpa | Emilio Rappold

Party und Lärm statt innerer Einkehr: Jakobsweg verkommt zum Ballermann

Andacht, innere Einkehr, Ruhe und Natur: All das erhoffen sich jedes Jahr Tausende Pilger:innen auf dem Jakobsweg durch Spanien nach Santiago de Compostela. Doch die wohl bekannteste Pilgerroute der Welt ist mittlerweile komplett überlaufen, an vielen Orten nehmen Vermüllung, Lärm und Vandalismus immer stärker zu – und belasten kleine Gemeinden immer häufiger.

Hape Kerkeling war vor 15 Jahren einfach „mal weg“ – und löste mit seinem Buch einen regelrechten Jakobsweg-Hype aus. Tausende Deutsche machten es ihm nach und gingen den beliebtesten aller Jakobswege, den rund 800 Kilometer langen Weg, der an der spanisch-französischen Grenze beginnt und dessen Endpunkt das angebliche Grab des Apostels Jakobus im spanischen Santiago de Compostela ist.

In diesem Jahr bekamen bereits mehr als 430.000 Wallfahrer:innen dort ihre Ankunftsurkunde, wie die Pilger-Behörde Oficina del Peregrino informiert. Das sind gut 20 Prozent mehr als im gesamten bisherigen Rekordjahr 2019. Der Jakobsweg ist längst zu einem Massentourismus-Ziel geworden, überall entlang des Weges klingeln die Kassen – vor allem in Santiago de Compostela. Die Betreiber der inzwischen sehr teuren Hotels, Privatunterkünfte, von Souvenirläden und Gaststätten reiben sich die Hände – aber nicht alle freuen sich über die Besucherströme.

Immer mehr Massentourismus auf dem Jakobsweg

„Es ist eine Tendenz, die schon vor einigen Jahren begann, aber dieses Jahr war es besonders schlimm, im Sommer war es zeitweilig schlicht unerträglich“, erzählt eine Bewohnerin. „Wenn Du mit 40 Wallfahrern um sieben Uhr morgens in die Stadt kommst, musst du verstehen, dass dort Menschen wohnen, arbeiten, studieren, schlafen. Du kannst doch nicht laut herumgrölen. Es geht um Respekt“, sagt sie.

Im Zentrum der Hauptstadt Galiciens tummeln sich abends an der 400 Meter langen Partymeile zahlreiche Pilger:innen. Der 21-jährige Hendrik aus Hamburg begleitete seine Eltern auf dem Weg und ist begeistert: „Hier ist es fast so geil wie am Ballermann! Nur der Strand und das Meer fehlen.“ Ganz anders schätzt das hingegen eine weitere Bewohnerin Santiagos ein, sie berichtet von „riesigen und lauten Pilgermassen“, „Müll auf den Straßen und immer mehr Ladendiebstählen“. Von der Polizei heißt es unterdessen, die Kriminalität habe bisher 2022 in der gesamten Region Galicien und auch in Santiago um rund 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zugenommen. Ob das mit den steigenden Pilgerzahlen zu tun habe, wolle beziehungsweise könne man nicht sagen.

Pilger mit „britischen Hooligans“ verglichen

Aber auch die spanische Zeitung „El Mundo“ berichtete zuletzt von ganzen Horden, die „obszöne Schreie“ ausstießen und „überall hinpissen“. Der Massentourismus „wie in Venedig oder auf Mallorca“ bringe die Gemeinde mit 96.000 Einwohnern und der beschränkten Infrastruktur „an den Rand des Kollaps“. In den sozialen Netzwerken werden die Besucher:innen mit „britischen Fußball-Hooligans“ verglichen. Regionalmedien warnten bereits, der Jakobsweg könne „am eigenen Erfolg zugrunde gehen“.

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Im Sommer versuchten Santiagos Bewohner:innen sich selbst zu helfen – und setzten auf die Einsicht der Pilger:innen. Sie klebten an Pfosten und Wänden Zettel mit „Benimmregeln für das Ende des Jakobsweges“. Die Stadt selbst hingegen erwägt eine Einführung einer Übernachtungssteuer – um noch mehr vom Besucherboom zu profitieren.

Doch wie kam es eigentlich so weit? Der Erfolg des Jakobswegs, auf dem zahlreiche religiöse Stätten, Kloster und eindrucksvolle Natur zu sehen sind, kam vor allem mit berühmten Wallfahrer:innen. Noch in den 1970er Jahren machte sich kaum jemand auf, den „Camino“ zu gehen. Erst im Im Zuge der spirituellen Bücher des brasilianischen Bestsellerautors Paulo Coelho kam dann der Boom, 1993 wurde erstmals die Marke der 100.000 Besucher:innen geknackt. Nach dem Kerkeling-Buch avancierten die Deutschen hinter den Spaniern zu einer der größten Gruppen. 2022 waren es laut offiziellen Angaben bisher knapp 25.000. (alp/dpa)

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