Selenskyj sicher: Der ESC findet nächstes Jahr in der Ukraine statt
Immer wieder zwölf Punkte für Freiheit und Demokratie: Die Ukraine hat den Eurovision Song Contest (ESC) mit einem beispiellosen Triumph gewonnen. Das Musik-Spektakel war wohl das politischte aller Zeiten und zeigte: Europa wollte einen Sieg der Ukraine – und sei es erstmal nur ein musikalischer. Deutschland musste sich mit dem letzten Platz begnügen.
„Ich werde immer zu dir kommen, auch wenn alle Straßen zerstört sind“, singt Oleh Psiuk, Gründer und Sänger der Sieger-Band Kalush Orchestra, in „Stefania“. Dem Song, mit dem die Musiker am Samstag in Turin mit 631 Punkten einen historischen Sieg einfuhren. Die Lied-Zeile weckt sofort Assoziationen an den Krieg, obwohl es eigentlich ein Liebeslied an seine Mutter ist.
Doch der russische Angriffskrieg war beim ESC allgegenwärtig. Vor fast 200 Millionen Zuschauern weltweit sagte Psiuk: „Ich bitte Euch alle: Helft der Ukraine, Mariupol, Azovstal.“ Das Bühnenbild griff das Sonnen-Symbol des ostukrainischen Gebiets Donezk auf. Viele Musiker zeigten sich in der vier Stunden langen Show offen solidarisch.
Ukraine siegt haushoch beim ESC in Turin
In 28 der 39 anderen Teilnehmer-Länder gaben die Zuschauer dem Kalush Orchestra zwölf Punkte – der Schnitt lag bei 11,3. Noch nie in der Geschichte des Grand Prix hat ein Lied so oft vom Publikum die Höchstwertung bekommen. Auch das deutsche Publikum sprach ihnen die Bestnote zu, während es selbst nicht viel zu feiern hatte: Deutschlands Vertreter Malik Harris reihte sich in die Pechsträhne der vergangenen Jahre ein – und landete auf dem letzten Platz.
Der Sieg der Kalush Orchestra sorgte hingegen nicht nur in Turin für Jubelstürme, auch im Rest der Welt – und vor allem in der Heimat – war die Freude riesig. „Das ist unser gemeinsamer Sieg für unsere Ukraine. Das ist ein Sieg im Gedenken an alle, die umgekommen sind“, sagte der Moderator des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Timur Miroschnytschenko, der aus einem Behelfsstudio in einem Luftschutzbunker moderierte. „Wir siegen an der musikalischen Front und…“, sagte er später, dann brach ihm die Stimme, und er musste weinen.
Selenskyj: ESC findet nächstes Jahr in der Ukraine statt
„So froh und stolz auf unsere Band, der freien Welt dankbar für die beeindruckende Unterstützung“, schrieb Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko auf Instagram. Dann kündigte er direkt an, dass die Ukraine im kommenden Jahr die Eurovision-Gemeinde zum ESC begrüßen will – so wie es Contest-Tradition ist.
Ganz ähnliche Worte hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj gefunden: „Unser Mut beeindruckt die Welt, unsere Musik erobert Europa! Im nächsten Jahr empfängt die Ukraine den Eurovision! Zum dritten Mal in unserer Geschichte“, so Selenskyj auf Telegram. Und weiter: „Wir tun alles dafür, damit eines Tages das ukrainische Mariupol die Teilnehmer und Gäste der Eurovision empfängt. Ein freies, friedliches, wieder aufgebautes!“
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Unklar ist aber, ob das Land das Musik-Spektakel wirklich auch im nächsten Jahr austragen kann. Zumindest derzeit könnte dort kein solcher Wettbewerb stattfinden, weil Kriegsrecht herrscht. Damit sind keine Großveranstaltungen erlaubt – und es gelten etwa nächtliche Ausgangssperren.
Zum Sieg des Wettbewerbs gratulierte auch der stellvertretende Nato-Generalsekretär Mircea Geoana. Er sei überrascht vom Mut der Ukrainer und der Geschlossenheit des Westens. Auch der britische Premier Boris Johnson lobte den ukrainischen Beitrag. Dass die Ukraine gewonnen hat, sei für ihn nicht bloß eine Würdigung des Talents, sondern auch ein Zeichen der Solidarität mit dem ukrainischen Kampf für Freiheit.
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Für das Kalush Orchestra geht nach dem Triumph in Turin nun der Alltag im Krieg weiter: Was in seinem Land auf Psiuk wartet und ob er im Militär kämpfen muss, wusste der Musiker nach eigenen Worten noch nicht. Die Band hatte nur mit einer Sondergenehmigung die Ukraine verlassen dürfen. (alp)