„Sicherheit ist Zeitverschwendung“: Der „Titan“-Chef setzte voll auf Risiko
Das tagelange Bangen um die Menschen an Bord des Tauchboots „Titan“ ist einer traurigen Gewissheit gewichen: Die fünf Männer sind tot, die „Titan“ implodiert. Noch sind viele Fragen zum Unglück offen. Was jedoch mittlerweile deutlich wird: Dass es zur Katastrophe kam, könnte auch an der teils laxen Vorgehensweise des Oceangate-Gründers gelegen haben, der das Boot steuerte – er soll unerprobte Materialkombinationen verbaut und Sicherheitsstandards missachtet haben.
Gerade einmal knapp 500 Meter vom Bug der „Titanic“ entfernt wurden die Trümmerteile der „Titan“ entdeckt. Hoffnungen, die fünf Männer an Bord noch lebend zu finden, waren damit umgehend zerschlagen. Bis jetzt deutet alles darauf hin, dass der Rumpf des Boots dem enormen Wasserdruck nachgegeben hat und implodiert ist. Wann genau das passiert ist, ist unklar. US-Medien zufolge registrierte ein akustisches Unterwassererkennungssystem der US-Navy bereits am Sonntag ein auffälliges Geräusch. Das könnte darauf hinweisen, dass die „Titan“ bereits implodiert war, als das Mutterschiff keinen Kontakt mehr herstellen konnte.
„Titan“: Insassen sterben an Bord des Tauchbootes
Dem „Titanic“-Regisseur und Tiefsee-Entdecker James Cameron zufolge spricht aber auch der Fundort der Trümmer dafür, dass das Unglück bereits unmittelbar beim Kontaktabbruch geschah, als das Tauchboot noch unterwegs zum Wrack des 1912 gesunkenen Luxusliners war. Grund sei, dass nicht nur die Kommunikation mit der „Titan“ abbrach, sondern das Boot gleichzeitig auch nicht mehr habe geortet werden können. Cameron selbst war schon zahlreiche Male am „Titanic“-Wrack – allerdings mit seinem eigenen U-Boot.
Die Insassen des „Titan“-Tauchboots haben Experten zufolge von der Implosion ihres Gefährts nichts mehr mitbekommen. Der Druck auf das Tauchboot sei in so großer Tiefe enorm gewesen – die Implosion sei im Bruchteil einer Millisekunde passiert. „Das ganze Ding ist kollabiert, bevor die Menschen darin überhaupt bemerken konnten, dass es ein Problem gab“, sagte Aileen Marty, Professorin für Katastrophenmedizin dem CNN.
Warum es überhaupt zur Katastrophe Tausende Meter unter der Meeresoberfläche kam, versuchen Expert:innen nun anhand der entdeckten Trümmerteile zu klären. Aber bereits jetzt häufen sich die Indizien dafür, dass die Hauptursache die Fahrlässigkeit von Oceangate–Gründer Stockton Rush sein könnte. Medienberichten zufolge warnte schon 2018 ein Brief der Organisation Marine Technology Society (MTS) vor dem experimentellen Charakter des touristischen Angebots, und dass die Fahrten in einer Katastrophe enden könnten. Auch ein ehemaliger Oceangate-Mitarbeiter soll bereits vor fünf Jahren Sicherheitsbedenken geäußert haben.
Oceangate-Gründer Rush missachtete Sicherheitsstandards
Stockton Rush, der teilweise als Elon Musk der Tiefsee betitelt wurde, galt als Pionier der Tiefseeforschung und des Tiefseetourismus. Er wollte möglichst viele Menschen in die Tiefen des Meeres bringen, den Bereich kommerzialisieren –ähnlich wie Musk es seit Jahren mit der Raumfahrt plant. In US-Medien wird Rush dabei als innovativ, mutig, teils aber auch übermütig beschrieben – bereit, für seine Ideen große Risiken einzugehen.
Zwar betonte Rush stets, die „Titan“ verfüge über ein innovatives Sicherheitskonzept – aber: In einigen Interviews klingt durch, dass Sicherheit für ihn nicht gerade das Wichtigste war. Auf eine offizielle Klassifizierung der „Titan“ verzichtete Oceangate – vor allem, weil dies „Jahre dauern könnte“ und damit „ein Gräuel für jede Innovation“ sei, so Rush.
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In einem Videoclip ist außerdem zu sehen, wie der Oceangate-Geschäftsführer sagt, dass die Materialkombination aus Titan und Kohlefaser, die für die „Titan“ verwendet wurde, eigentlich nicht zulässig sei. „Ich habe einige Regeln gebrochen, um das [Tauchboot] herzustellen“, sagte er. „Es gibt eine Regel, dass man Titan und Kohlefaser nicht kombiniert – ich habe es getan.“ Rush begründete die Entscheidung damit, dass er als Innovator in Erinnerung bleiben wolle, der mit Konventionen gebrochen und Neues ausprobiert habe.
So transportierte das Boot seit 2021 Touristen zum „Titanic“-Wrack. Zwar kam es bei den vergangenen Touren nicht zu größeren Unfällen, wie das Unternehmen betonte, allerdings verlief auch kaum eine Expedition problemlos. Unter anderem kam es zu Ausfällen der Kommunikation. Visionär Rush hatte bis zu seinem Tod eine klare Überzeugung: „Ab einem gewissen Punkt ist Sicherheit reine Zeitverschwendung“. „Titanic“-Regisseur James Cameron sieht gar Parallelen zur Katastrophe des Jahres 1912: „Es ist eine große Ironie, dass da jetzt ein weiteres Wrack neben der „Titanic“ liegt, und zwar aus dem gleichen Grund“ – weil die Warnungen nicht beachtet worden seien, sagte Cameron der BBC.