„Sie behandeln uns wie Tiere“: So brutal geht die EU mit Geflüchteten um
Schläge, Tritte, Drohungen: Auf brutalste Art drängen Beamte an europäischen Grenzen traumatisierte Geflüchtete zurück. Wie passt das zusammen mit den angeblich so wichtigen Werten Toleranz und Gleichberechtigung, die die EU für sich reklamiert? „Spiegel“-Recherchen und ein neuer Bericht von Amnesty International zeigen, dass illegale Pushbacks gegen Menschen auf der Flucht in der EU System haben.
Folter, Misshandlungen, kilometerlange Metallzäune, Schallkanonen und rechtswidrige Pushbacks: So sieht an der bosnisch-kroatischen und an der griechisch-türkischen Grenze die europäische Grenzpolitik aus. Was Geflüchtete dort erleben, ist furchtbar – und beschämend: Ein 25-jähriger Syrer etwa berichtet den Mitarbeitern von Amnesty, wie er und andere von „Soldaten“ in schwarzer Kleidung in einen Hinterhalt gelockt und zurück an den griechisch-türkischen Grenzfluss Evros gebracht wurden. Zwei Männer versuchten zu fliehen. Die Grenzbeamten reagierten mit einer brutalen Prügelattacke, bei der sie einem der Männer wohl die Wirbelsäule brachen, vermutet der 25-Jährige: „Er konnte sich überhaupt nicht bewegen, er konnte nicht mal seine Hände bewegen.“
An den Grenzen steht Gewalt auf der Tagesordnung
Der Amnesty-Bericht „Griechenland: Gewalt, Lügen und Pushbacks“ dokumentiert die illegalen Zurückweisungen der Geflüchteten durch griechische Behörden an Land und auf See. Schutzsuchende werden sogar noch bis zu 700 Kilometer von der griechisch-türkischen Grenze entfernt aufgegriffen, gewaltsam festgehalten und in die Türkei abgeschoben, heißt es darin. Bedeutet: Die Grenzbeamten verstoßen gegen ihre Menschenrechtsverpflichtungen nach EU- und Völkerrecht.
Doch nicht nur das: Es wird deutlich, dass Menschenrechtsverletzungen an der Grenze zu einer fest verankerten Praxis geworden sind.
„Es ist erschütternd, dass mehrere griechische Behörden eng zusammenarbeiten, um Schutzsuchende brutal festzunehmen und zu inhaftieren“, sagt Franziska Vilmar, Asylexpertin bei Amnesty in Deutschland. Bis zu 1000 Betroffene dokumentierte die Organisation zwischen Juni und Dezember 2020. Die Mehrheit der Befragten erzählt von Gewalterfahrung durch Uniformierte und Männer in Zivilkleidung: Schläge mit Stöcken oder Knüppeln, Tritte, Stöße, Faustschläge und Ohrfeigen.
Geflüchteter Syrer: „Wir sind für sie wie Tiere“
Die Asylexpertin greift auch Frontex an: „Die Grenzschutzagentur hat die Pflicht, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern“, macht Vilmar deutlich. Doch: „Alle Menschen, mit denen wir gesprochen haben, wurden aus Gebieten zurückgedrängt, in denen Frontex eine große Anzahl von Mitarbeiter:innen hat. Die Agentur kann daher nicht behaupten, sie wisse nichts von den Misshandlungen, die wir und viele andere dokumentiert haben.“
An der bosnisch-kroatischen Grenze werden Geflüchtete ebenfalls mit allen Mitteln zurückgedrängt, wie Recherchen und Videomaterial des „Spiegel“ nun belegen. Ein junger Afghane, ist einer der Geflüchteten, über die das Magazin berichtet. Er ist mit seiner Familie vor den Taliban geflohen, möchte nach Deutschland und braucht einen Arzt für seinen siebenjährigen Neffen, der eine riesige Narbe auf dem Kopf und Probleme mit Augen und Beinen hat. Doch jedes Mal scheitert die Familie an der kroatischen Grenze. Die Beamten zeigen kein Mitleid. „Wir sind für sie wie Tiere“, sagt der junge Mann.
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2016 hat die EU die Balkanroute dichtgemacht – den kroatischen Grenzschutz finanzierte sie in den vergangenen Jahren mit mehr als 160 Millionen Euro. Im Nordwesten von Bosnien und Herzegowina kampieren Tausende Geflüchtete unter schlimmsten Bedingungen im Wald und versuchen dennoch über Kroatien nach Westeuropa zu kommen. Doch egal ob Kinder, Kranke, Greise oder Schwangere vor den Beamten stehen, die Antwort sei immer dieselbe, berichten Betroffene: „Go back Bosnia“.