Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen wird von einem Hubschrauber zu einer Wagenkolonne geführt.
  • Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen wird von einem Hubschrauber zu einer Wagenkolonne geführt.
  • Foto: Uli Deck/dpa

Solingen-Verdächtiger in U-Haft – auch wegen Terror-Verdachts!

Auf dem „Festival der Vielfalt“ in Solingen tötet ein Mann mehrere Menschen. Einen Tag später nimmt die Polizei einen Verdächtigen fest. Nun wird deutlich: Der Mann sollte abgeschoben werden. Jetzt wird er einem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof (BGH) vorgeführt.

Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen hat die Bundesanwaltschaft den Fall an sich gezogen und ermittelt gegen den Tatverdächtigen Issa Al H. wegen Mordes und des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der 26-Jährige sitzt seit Sonntagnachmittag in U-Haft. Das teilte eine Sprecherin der obersten deutschen Anklagebehörde der in Karlsruhe mit.

Polizeikreise: In Solingen Festgenommener trug blutbefleckte Kleidung

Wegen seiner radikal-islamistischen Überzeugungen habe er den Entschluss gefasst, auf dem Solinger Stadtfest eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht ungläubiger Menschen zu töten, so die Bundesanwaltschaft. „Dort stach er mit einem Messer hinterrücks wiederholt und gezielt auf den Hals- und Oberkörperbereich von Besuchern des Festivals ein.“

Wie die Polizei mitteilte, hatte sich ein 26-Jähriger am Samstagabend den Ermittlungsbehörden gestellt. Der Mann habe angegeben, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Die Tatbeteiligung dieser Person werde intensiv geprüft. Nach Angaben der Düsseldorfer Polizei von Sonntagmorgen handelt es sich bei dem Tatverdächtigen um einen 26-jährigen Syrier. Nach dpa-Informationen soll er blutverschmierte Kleidung getragen haben, als er sich gestellt hat.

Ein Mann (hinten verdeckt zwischen Polizisten) hatte sich auf offener Straße einer Streife gestellt und gab an, der Täter zu sein. Christoph Reichwein/dpa
Polizeiauto in der Nacht
Ein Mann (hinten verdeckt zwischen Polizisten) hatte sich auf offener Straße einer Streife gestellt und gab an, der Täter zu sein.

Der Verdächtige wurde per Helikopter nach Karlsruhe geflogen. Zwei schwer bewaffnete Polizisten in Spezialausrüstung brachten den barfüßigen Mann zu einer Wagen-Kolonne. Einer der Beamten drückte den Kopf des auch an den Füßen gefesselten Tatverdächtigen nach unten. In dieser gebückter Haltung machte der Mann kaum selbst einen Schritt, die Einsatzkräfte trugen ihn zu den Fahrzeugen. Zu sehen war auch, dass er an seiner linken Hand einen weißen Handschuh trug. Der Grund dafür war zunächst unklar.

Der Tatort in der Innenstadt war am Sonntagmorgen weiter großräumig abgesperrt. Am Vormittag kamen Hunderte Menschen zu einem Trauergottesdienst zusammen.

Ein 26-Jähriger, der sich am Wochenende den Behörden gestellt hat, gilt als Hauptverdächtiger für die tödliche Attacke von Solingen. Uli Deck/dpa
Der verdächtige Syrer wird zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) gebracht.
Der verdächtige Syrer wird zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) gebracht.

Wie der „Spiegel“ berichtete, kam der Verdächtige Ende 2022 nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. Weil dieser aber abgelehnt worden war, sollte der Mann eigentlich im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Gemäß des sogenannten Dubliner Übereinkommens ist das Land, das zuerst von einem Asylbewerber betreten wird, für das Asylverfahren zuständig. Der Deutschen Presse-Agentur wurden diese Angaben bestätigt.

Tatverdächtiger Syrer sollte abgeschoben werden

Demnach war der gebürtige Syrer über Bulgarien in die Europäische Union eingereist. Da er allerdings in Deutschland untergetaucht sei, sei die Abschiebung vorerst hinfällig gewesen und der Syrer nach Solingen überstellt worden, schrieb die „Welt“. 

Am Freitagabend hatte ein Mann auf einem Jubiläumsfest zum 650. Gründungstag der Stadt Solingen – dem „Festival der Vielfalt“ – offenbar willkürlich auf Umstehende eingestochen. Anschließend entkam er im Tumult und in der anfänglichen Panik. Zwei Männer im Alter von 67 und 56 Jahren sowie eine 56 Jahre alte Frau starben. Acht Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Die schwer verletzten Opfer sind inzwischen auf dem Weg der Besserung. „Alle vier noch stationär behandelten Patienten sind über den Berg“, sagte der medizinische Geschäftsführer und ärztlicher Direktor am städtischen Klinikum Solingen, Thomas Standl, dem Fernsehsender „Welt TV“. 

Die Terrormiliz IS reklamierte die Tat über ihren Propaganda-Kanal Amak für sich. Der Angreifer sei IS-Mitglied gewesen und habe die Attacke aus „Rache für Muslime in Palästina und anderswo“ verübt. Der Angriff habe einer „Gruppe von Christen“ gegolten.

Hunderte Menschen nahmen am Samstagnachmittag an einer Andacht in Gedenken an die Opfer der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest teil. Henning Kaiser/dpa
Menschen mit gesenkten Köpfen vor einer Bühne
Hunderte Menschen nahmen am Samstagnachmittag an einer Andacht in Gedenken an die Opfer der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest teil.

Eine Bestätigung der Sicherheitsbehörden für ein islamistisches Tatmotiv gibt es bislang aber nicht. Aus Ermittlerkreisen wurde darauf hingewiesen, dass der IS in der Vergangenheit schon öfter eine Tat für sich reklamiert habe, ohne dass es belastbare Hinweise für eine Zusammenarbeit mit dem Täter gab. 

Mutmaßlich bezieht sich der IS mit der „Rache für Muslime in Palästina“ auf den Krieg im Gazastreifen zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas. Weder der IS noch das Terrornetzwerk Al-Kaida haben Bündnisse mit der islamistischen Hamas. Die Gefahren durch Terrorismus und Radikalisierung in der islamischen Welt sind den Sicherheitsbehörden zufolge durch den monatelangen Krieg in Gaza aber gestiegen. Deutschland ist neben den USA einer der wichtigsten Verbündeten Israels und auch einer der wichtigsten Waffenlieferanten.

Viele Menschen haben in der Nähe des Tatortes in Solingen Blumen und Kerzen niedergelegt. picture alliance/dpa/Thomas Banneyer
Menschen haben in der Nähe des Tatortes in Solingen Blumen und Kerzen niedergelegt.
Viele Menschen haben in der Nähe des Tatortes in Solingen Blumen und Kerzen niedergelegt.

Der Leitende Oberstaatsanwalt Markus Caspers hatte am Samstagnachmittag bei einer Pressekonferenz in Wuppertal zu den Hintergründen der Tat gesagt: „Eine Motivlage konnten wir bisher auch nicht erkennen, wir gehen aber nach den Gesamtumständen davon aus, dass der Anfangsverdacht einer terroristisch motivierten Tat nicht ausgeschlossen werden kann.“ 

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Die Bundesanwaltschaft ist unter anderem für Taten des islamistisch motivierten Terrorismus zuständig. Generalbundesanwalt Jens Rommel hatte diesen bei der Jahresbilanz seiner Behörde als eine der Hauptgefahren für Deutschland ausgemacht. Von mehr als 700 im vergangenen Jahr eingeleiteten Ermittlungsverfahren aus dem Bereich Terrorismus und Staatsschutz betrafen Rommel zufolge knapp 500 den islamistischen Terrorismus. „Deutschland ist weiterhin Ziel radikalisierter Islamisten“, heißt es bei der Bundesanwaltschaft. Das Spektrum reiche vom individuell radikalisierten Täter bis zu konspirativ agierenden Terrorzellen. 

Spezialkräfte der Polizei führen einen Einsatz bei einer Flüchtlingsunterkunft durch. picture alliance/dpa | Christoph Reichwein
Spezialkräfte der Polizei führen einen Einsatz bei einer Flüchtlingsunterkunft durch.
Spezialkräfte der Polizei führen einen Einsatz bei einer Flüchtlingsunterkunft durch.

Bereits am Samstagabend hatte die Polizei „unter Einbindung von Kräften von Spezialeinheiten“ eine Flüchtlingsunterkunft in Solingen durchsucht. Eine Person, die Kontakt zum Täter gehabt haben soll, sei auf eine Polizeiwache gebracht worden, teilte die Düsseldorfer Polizei mit. Es handele sich nach aktuellem Stand um einen Zeugen. 

Am frühen Samstagmorgen war ein 15 Jahre alter Jugendlicher festgenommen worden. Als möglicher Vorwurf gegen ihn steht die Nichtanzeige geplanter Straftaten im Raum.

Deutschlandweit löste die Tat in Solingen große Betroffenheit aus. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einem „furchtbaren Verbrechen“. „Wir dürfen so etwas in unserer Gesellschaft nicht akzeptieren und uns niemals damit abfinden. Mit der ganzen Härte des Gesetzes muss hier vorgegangen werden“, sagte der SPD-Politiker bei einem Termin in Brandenburg.

FDP-Minister kündigt Beratungen über Messer-Kriminalität an

Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte Beratungen über das Waffenrecht für Messer an. „Wir werden nun in der Bundesregierung darüber beraten, wie wir den Kampf gegen diese Art der Messer-Kriminalität weiter voranbringen“, sagte der FDP-Politiker der „Bild am Sonntag“. Bislang hat die FDP die Vorschläge von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zu schärferen Verboten abgelehnt.

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Die SPD verlangt eine deutliche Verschärfung der Gesetze. In der Öffentlichkeit sollen Messer demnach nur noch bis zu einer Klingenlänge von sechs Zentimetern statt bisher zwölf Zentimetern mitgeführt werden dürfen. Für gefährliche Springmesser soll es ein generelles Umgangsverbot geben. (dpa/mp)

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