Quiet Quitting: Ein Mann arbeitet von der Couch aus
  • „Quiet Quitting“ ist durch das soziale Netzwerk TikTok bekannt geworden – krempelt diese Herangehensweise jetzt den Arbeitsmarkt um? (Symbolbild)
  • Foto: Sina Schuldt/dpa

Quiet Quitting: Krempelt das Tiktok-Phänomen den Arbeitsmarkt um?

Kurzes Video, große Debatte: Im Sommer hat ein Nutzer auf Tiktok ein 17-sekündiges Video veröffentlicht. Zu Alltagsszenen erklärt er auf Englisch: „Ich habe jüngst den Begriff ‚Quiet Quitting‘ gelernt. Man kündigt nicht seinen Job, aber man verabschiedet sich von der Idee, dessen Anforderungen immer überzuerfüllen. Man erfüllt immer noch seine Pflichten, aber fühlt sich nicht länger an eine Mentalität gebunden, die vorschreibt, Arbeit sei dein Leben.“ Aber welchen Hintergrund hat „Quiet Quitting“ genau? Und hat das Phänomen das Potenzial, den Arbeitsmarkt in Deutschland umzukrempeln?

Mehrere Millionen Menschen sahen den Clip. Schnell machte der Begriff Karriere im Internet: Hunderttausende diskutierten in Netzwerken wie Twitter, Instagram und Linkedin darüber – besonders die Generation Z und die jüngeren Millennials.

Tiktok-Trend „Quiet Quitting“: Gut arbeiten – aber nur im festgelegten Rahmen

„Quiet Quitting“ heißt wörtlich übersetzt „stille Kündigung“. Das hat allerdings nichts mit der inneren Kündigung zu tun, die vor allem Arbeitspsychologen ein Begriff ist und die weitgehende Verweigerung von Arbeit bedeutet. Viele verstehen den Trend hingegen so, dass es darum geht, Grenzen zu setzen. Das schließt Leistungsfähigkeit nicht aus – aber eben nur im vereinbarten Rahmen. Ohne Sonderaufgaben und Überstunden am Abend und an den Wochenenden. „Quiet Quitting“ wird daher auch oft als Dienst nach Vorschrift bezeichnet.

„Wir kommen noch dichter ran, an das, was eigentlich gemeint ist, wenn man sich vorstellt: Das sind Berufsanfänger“, sagt Jugendforscher Klaus Hurrelmann. In den Unternehmen stoßen sie demnach auf eine durch die ältere Generation geprägte Tradition von Arbeitsmoral, Arbeitsrhythmus und Arbeitsstil. „Und das finden die irgendwie nicht überzeugend und gut.“ Hurrelmann geht davon aus, dass das bei vielen jungen Leuten einen Nerv trifft – auch in Deutschland.

Klaus Hurrelmann dpa-Zentralbild | Britta Pedersen
Klaus Hurrelmann
Jugendforscher Klaus Hurrelmann denkt, dass der Tiktok-Trend „Quiet Quitting“ den Nerv der Zeit trifft.

Diese Einstellung unterscheidet sich gewaltig von der vieler Älterer. „Hier hieß es noch: Der Beruf geht voran, man muss durchhalten und die Familie notfalls zurückstecken“, sagt der Forscher. Die Jungen hätten aber Angst, rund um die Uhr ausgebeutet zu werden. „Da machen sie lieber rechtzeitig die Schotten dicht, stecken also beim Beruf zurück und investieren in die eigene Lebensqualität.“

Begünstigt wird der Trend in Deutschland von der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt. Es herrscht annähernd Vollbeschäftigung – das werden auch die Arbeitsmarktzahlen für Oktober zeigen, die an diesem Mittwoch vorgestellt werden. Viele Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften. Im zweiten Quartal dieses Jahres gab es nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 1,9 Million offene Stellen – so viele wie noch nie. Zugleich verabschieden sich die Baby-Boomer allmählich aus der Arbeitswelt. Bis 2035 könnten einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge noch einmal mehr als drei Millionen Arbeitskräfte fehlen.

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Diese Lücke können die nachfolgenden Jahrgänge nicht schließen – ein Ungleichgewicht entsteht. „Das spüren die gut qualifizierten jungen Leute. Und sie merken: Der Markt hat sich gedreht, die Marktmacht steigt, die Arbeitsmarktmacht sozusagen. Die liegt jetzt bei ihnen“, sagt Hurrelmann. Das sei für viele Unternehmen eine Zumutung.

„Wir haben in der Debatte schon Äußerungen von Unternehmensleitungen gehört, die richtig beleidigt, moralisierend und abwertend reagiert haben“, sagt Hurrelmann. Das treffe aber überhaupt nicht den Nerv. Unternehmen sollten vielmehr mit Zuwendung und Interesse reagieren, Spielräume einräumen, Motivation wecken und Verantwortung anbieten. „Das ist aber lösbar“, sagte der Forscher.

58 Prozent der unter 25-Jährigen können sich ein Leben ohne Beruf nicht vorstellen

Systematisch erforscht ist „Quiet Quitting“ noch nicht. In den USA sind dem Meinungsforschungsinstitut Gallup zufolge aber nur noch rund ein Drittel aller Arbeitskräfte in ihrem Job engagiert. Gut 50 Prozent leisteten Dienst nach Vorschrift. Vor allem bei den Jüngeren unter 35 sei ein Rückgang des Engagements und der Arbeitgeberzufriedenheit zu beobachten. Eine Berufe-Studie des Versicherers HDI ergab, dass die Bindung an die Arbeit in Deutschland vor allem bei Jungen abnimmt: So sagten 58 Prozent der unter 25-Jährigen, dass sie sich ein Leben ohne Beruf nicht vorstellen könnten, 2020 waren es noch 69 Prozent.

Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom IAB hat aber seine Zweifel, ob der Tiktok-Trend mit der Realität auf dem deutschen Arbeitsmarkt viel gemeinsam hat. „Die Wünsche nach der Länge der Arbeitszeit haben sich gar nicht geändert. Also dass die Leute heute irgendwie keine Lust mehr auf Arbeit haben und weniger arbeiten wollen, ist, wenn man es repräsentativ erhebt, nicht ersichtlich“, erklärt er. Auch andere Indikatoren seines Fachs wie die Teilzeitquote und die Zahl der erbrachten Überstunden weisen Weber zufolge aktuell noch nicht auf einen derartigen Trend hin.

„Die Menschen stellen heute andere und teils auch höhere Ansprüche.“

Die junge Generation will laut Weber nicht weniger, sondern anders arbeiten: „Die Menschen stellen heute andere und teils auch höhere Ansprüche. Sie möchten etwa individuellere Arbeitszeiten, die sich eher dem eigenen Leben anpassen und nicht umgekehrt.“ Gleiches gelte für den Arbeitsort. Nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie sei mobiles Arbeiten eine Standardforderung, um die kein Arbeitgeber in entsprechenden Jobs mehr herumkomme.

„Die Anforderung ist also nicht, dass jedes Unternehmen irgendwelche Wohlfühllandschaften installieren muss. Das sind Klischees aus dem Silicon Valley, um die es im deutschen Mittelstand nicht gehen muss“, sagte Weber. An erster Stelle gehe es um praktikable Fragen, etwa ob man mit 35 Arbeitsstunden die Woche Karriere machen, Arbeitszeiten flexibel anpassen und bei den Arbeitsinhalten mitreden könne. „Die Wünsche und Forderungen sind also da, sie scheinen mir mit ‚Quiet Quitting‘ jedoch nicht gut beschrieben zu sein“, resümiert er.

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