Weil er es einer Frau nicht zutraut: Rechtsextremer entlastet „Nazi-Jägerin“
Sie soll auf Neonazis Jagd gemacht und sie brutal angegriffen haben: Die 26-jährige Studentin Lina E. steht seit Anfang September mit drei weiteren Angeklagten vor Gericht. Es ist der größte Prozess gegen eine mutmaßlich militante linksextreme Gruppe seit Jahren. Doch nun lässt eine Zeugenaussage die Anklage wackeln.
13 teils schwer verletzte Männer – das ist die Bilanz von sechs Angriffen auf Menschen aus der rechten Szene, die zwischen 2018 und 2020 in Leipzig, Wurzen und Eisenach verübt wurden. Die Bundesanwaltschaft glaubt, dass Lina E. dabei eine tragende Rolle einnahm, die Angriffe mitplante und bei mindestens zwei von ihnen das Kommando führte. Vor Gericht wird ihr nun gefährliche Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
„Nazi-Jagd” in Leipzig: Laut Opfer waren nur Männer unter den Tätern
Am Mittwoch kam es nun aber zu einer unerwarteten Wendung: Ein Nebenkläger hat Lina E. entlastet. Enrico B., ein bekannter Rechtsextremer aus Leipzig, wurde am Morgen des 2. Oktober 2018 von vier vermummten Personen angegriffen, die ihn zu Boden warfen und auf ihn eintraten. Seine Kniescheibe wurde gebrochen, auch Verletzungen im Gesicht soll der heute 38-Jährige davongetragen haben. Die Anklage glaubt, dass Lina E. unter den Tätern war.
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Doch Enrico B. will nicht von einer Frau angegriffen worden sein: Er habe die Täter, die allesamt eine trainierte, sportliche Statur gehabt hätten und größer als 1,80 Meter gewesen sein sollen, als männlich wahrgenommen, sagte er am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht. „Das waren keine normalen Schläger, sondern Täter, die Kampfsport erprobt gewesen sein müssen“, glaubt er. Sie hätten das Ziel gehabt, ihn „mit höchster Effizienz schwer zu verletzen“, so Enrico B. „Ich habe, ohne chauvinistisch sein zu wollen, einer Frau so einen Übergriff einfach nicht zugetraut.“
Angeklagte Lina E. bisher nicht eindeutig als Täterin identifiziert
Das Problem mit der Aussage: Der ehemalige NPD-Funktionär und Hooligan gilt nicht als verlässlicher Zeuge und schreibt den Angriff der linksextremen Szene zu. Im Prozess forderte der Richter den selbst mehrfach Vorbestraften auf, sich bei seinen Aussagen auf Fakten zu beschränken und bei der Wahrheit zu bleiben. Zudem gibt es laut dem „Spiegel“ Widersprüche zwischen seiner jetzigen und der damaligen Aussage. So sagte er am Mittwoch, dass die Täter „schweres Schuhwerk“ trugen, 2018 sprach er hingegen von einem „leichten Schuhwerk in Form von Turnschuhen“.
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Die Entlastung von Lina E. spielt der Verteidigung nun aber in die Hände. Denn die Studentin wurde bislang nicht eindeutig identifiziert, auch eine DNA-Mischspur von einem Plastikbeutel wird von der Verteidigung angezweifelt, berichtet die „Taz“. Lina E., die seit November 2020 in Untersuchungshaft sitzt, hat bisher ebenso wie die Mitangeklagten zu den Vorwürfen geschwiegen. Der Prozess ist noch bis März 2022 angesetzt, bis dahin werden noch weitere Zeugen befragt. (ncd)