Pflegekräfte über ungeimpfte Covid-Kranke: „Hätte ihm am liebsten eine reingehauen“
Immer noch kämpfen sie an vorderster Front gegen Corona: Ärzt:innen und Pflegekräfte in unseren Krankenhäusern. Doch immer mehr von ihnen geraten an ihre Grenzen – auch weil sie Menschen behandeln müssen, die sich hätten schützen können.
In einer privaten Facebook-Gruppe kocht die Wut hoch: „Ganz ehrlich? Ich hätte ihm am liebsten eine reingehauen“, schreibt eine Krankenschwester aus Bayern über einen Mann, den sie auf einer Intensivstation gesund pflegte. Als der Patient sich erholte, habe er ihr gesagt, dass ja alles nicht so schlimm gewesen sei. Und dass er sich in einer „Diktatur von Coronajüngern“ auch weiterhin an keine Schutzmaßnahmen halten werde. „Könnt ihr verstehen, dass ich echt keinen Bock mehr habe?“, fragt die Schwester.
Mediziner: Emotionen gegenüber Erkrankten sind ganz normal
Sie ist eine von vielen, die Menschen behandeln müssen, die mit Impfschutz wohl nicht vor ihnen im Bett liegen würden. Ihr Frust ist nachvollziehbar – oder?
Die Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) argumentiert: In der Medizin würden „regelhaft“ Patienten behandelt, die mehr oder weniger Einfluss darauf hätten, ob und wie krank sie werden. Es gelte, „dieses Wissen über eine mögliche Mitverursachung des Patienten nicht negativ auf die Behandlung oder die Beziehung wirken zu lassen“. Aber: „Natürlich sind Emotionen gegenüber dem Erkrankten ganz normal, auch negative.“ Sie müssten „ernst genommen werden und auch ihren Raum haben.“
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Isabella Heuser gibt ihren Mitarbeiter:innen diesen Raum. Sie leitet die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. Belastbaren Daten habe sie zwar nicht, sagt Heuser. „Aber in unseren morgendlichen Besprechungen ist immer davon die Rede: Dass man Impfbereitschaft von allen erwartet.“ Wenn es überall kostenlos und bequem Impfungen gebe, gebe es keine Entschuldigung mehr dafür, dass jemand schwer erkranke.
Bundesweit rund 1500 Covid-Kranke auf Intensivstationen
Das Risiko, mit Corona ins Krankenhaus zu müssen, ist laut RKI bei Geimpften rund zehnmal geringer als bei Ungeimpften. Dennoch lassen sich viele nicht piksen. „Ich ärgere mich da enorm drüber. Da nehmen Ungeimpfte anderen Kranken die Betten weg – obwohl sie diese Betten mit Impfung gar nicht brauchen würden“, schimpft Hause. Das sei „unglaublich unsolidarisch“.
Auf rund 1500 ist die Zahl der Covid-Kranken auf den Intensivstationen bundesweit wieder angewachsen. Die Gewerkschaft Verdi möchte die Belastung in den Kliniken aber nicht allein darauf schieben. Derzeit sei beim Pflegepersonal eher Stress durch Nachhol-Effekte zu spüren, sagt Sprecherin Grit Genster. Die Mehrbelastung wegen der vielen aufgeschobenen OPs sei groß. „Und dann kommt die Sorge dazu, dass das jetzt wieder alles von vorn losgeht.“
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Die Empörung mache sich aber nicht am Patienten fest, betont Genster. „Da geht es um Politik und Klinikträger, die keine Vorsorge für Entlastung getroffen haben. Die Untergrenze für die Personalbemessung ist nicht die rote Linie, sondern die Obergrenze.“ Beim Pflegepersonal sei das Gefühl entstanden, dass Politik und Arbeitgeber aus drei Pandemie-Wellen nichts gelernt hätten. In Berlin hat dieser Frust Folgen: Das Pflegepersonal an den landeseigenen Kliniken von Vivantes und Charité trat in den Streik.
Deutschland: Impfrate von 64 Prozent
Derweil zeigen die Impfquoten in Deutschland ein ernüchterndes Bild. Trotz vieler Appelle, ungewöhnlicher Impfstellen vom Stadion bis zur S-Bahn und Belohnungen wie Bratwurst oder Döner – die Rate stagniert. Im Moment sind um die 64 Prozent aller Menschen hierzulande vollständig geimpft. Wünschenswert wären weit über 80 Prozent.
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Psychologin Heuser fragt in ihrer Freizeit aktiv nach, wenn sie Einkaufslustige vor dem Berliner KaDeWe einen Corona-Test machen sieht. „Warum lassen Sie sich nicht impfen?“ Als Antwort habe sie bekommen: Da glaube ich nicht dran. „Da kann es einem doch schlecht werden“, sagt Heuser. Sie hat auch eine Ehrenprofessur in Hanoi und sagt: „Ärzte in Vietnam würden sich die Finger danach lecken, wenn sie Impfungen so verteilen könnten wie wir. Wir haben in Deutschland ein absolutes Luxusproblem.“
Heuser, die am Anfang der Pandemie die Hilfsbereitschaft hierzulande optimistisch stimmte, ist inzwischen enttäuscht. „Ich habe die Solidarität in Deutschland wirklich überschätzt. Was ich jetzt sehe, finde ich beschämend.“ (Ulrike von Leszczynski/dpa)