Afghanistan: Jetzt geht es für die Bundeswehr um alles
Fast 20 Jahre lang kämpfte die Bundeswehr in Afghanistan gegen Terror und Gewalt. Seit der Abzug der westlichen Truppen begonnen hat, wird das Land erneut durch die radikalislamischen Taliban überrannt. Das könnte auch die deutschen Soldaten noch einmal in große Gefahr bringen.
Noch befinden sich 530 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Masar-i-Sharif, dem Hauptquartier der deutschen Truppen in der Provinz Kundus. Bis spätestens Mitte September sollen alle nach Deutschland zurückgekehrt sein.
Doch die Zeit bis dahin wird noch sehr gefährlich. Denn die Terrormiliz steht bereits am Stadtrand. Von den insgesamt 370 Bezirken im Land haben die Taliban nach UN-Angaben bereits mehr als 50 komplett zurückerobert.
Festgelegter Abzugstermin als Gefahr
Die afghanische Armee ist in einer verzweifelten Lage. Tausende ihrer Soldaten kapitulieren vor den Islamisten, die Armeeführung ruft inzwischen sogar Zivilisten auf, sich ihrem Widerstand gegen die Taliban anzuschließen.
„Die Bundeswehr befindet sich in einer sehr heiklen Situation, denn: Je weniger Kräfte da sind, um so verwundbarer ist sie. Deshalb wird auch ein besonderes Augenmerk auf diese letzte Phase gelegt“, sagt die Verteidigungspolitikerin Siemtje Möller (SPD). „Was die US-amerikanische Seite gemacht hat, nämlich einen Termin für den Abzug festzusetzen, ist die Voraussetzung gewesen dafür, das so problematisch ablaufen zu lassen, wie es jetzt passiert“, kritisiert Tobias Pflüger (Linke). Grundsätzlich befürwortet die Linke den Abzug aber.
Bei der Bundeswehr versichert man, auf alles vorbereitet zu sein. „Die Bundeswehr verfügt auch mit Unterstützung der US-Amerikaner über Kräfte und Mittel, um auf Gefährdungen für das Kontingent angemessen reagieren zu können“, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam. Soldaten der Bundeswehr-Eliteeinheit KSK sind vor Ort sind, um den Abzug abzusichern. Ihre Zahl bewegt sich aber wohl nur „im niedrigen zweistelligen Bereich“, so der Sprecher.
Hoffen auf die Geduld der Taliban
Ob das im Ernstfall wirklich reicht? Letztlich setzt man bei der Bundeswehr und auch in Berlin darauf, dass die Taliban nicht die Geduld verlieren und erst dann versuchen, Kundus vollständig zu erobern, wenn die ausländischen Truppen abgezogen sind.
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Neben den Bundeswehrsoldaten selbst sind vor allem ihre afghanischen Hilfskräfte gefährdet, die die Taliban als Verräter betrachten. Immerhin hat die Bundesregierung kürzlich beschlossen, allen Hilfskräften der letzten zwei Jahrzehnte – von Übersetzern über Köche bis Wachleuten – die Möglichkeit zu geben, nach Deutschland zu kommen. Ursprünglich war dies nur für diejenigen vorgesehen, die die vergangenen zwei Jahre direkt für die Bundeswehr gearbeitet hatten. Insgesamt handelt sich um mehrere hundert Personen.
Insgesamt starben mehr als 50 deutsche Soldaten
Sollten die Taliban aber letztlich wieder die Kontrolle über das ganze Land übernehmen – wofür einiges spricht – wären nicht nur die spärlichen Erfolge verspielt, die die Bundeswehr erreicht hat. Auch der Tod von 53 deutschen Soldaten erschiene weitgehend umsonst. Und Europa müsste sich wohl wieder auf viele Menschen einstellen, die aus dem Land fliehen.