„Anschlag auf die Demokratie“? So hat sich das neue Wahlrecht wirklich ausgewirkt
CDU und CSU fühlten sich durch die Wahlrechtsreform der Ampel stark benachteiligt. Doch war ihre harsche Kritik gerechtfertigt? Eine Analyse des Wahlergebnisses bringt Interessantes zutage.
Die Empörung der Union über die von der Ampel-Koalition 2023 beschlossene Wahlrechtsreform war immens – CSU-Chef Markus Söder sprach sogar von einem „Anschlag auf die Demokratie“. Doch eine Analyse des Ergebnisses der Bundestagswahl vom 23. Februar zeigt, dass die Aufregung kaum gerechtfertigt war.
Berlin: Neues Wahlrecht hat Union kaum benachteiligt
Zwar erhielten dabei 15 Kandidaten der CDU und 3 der CSU trotz des besten Erststimmenergebnisses in ihrem Wahlkreis das Direktmandat nicht, weil ihnen die nötige Zweitstimmendeckung fehlte. Nach Berechnungen der Plattform „election.de“ im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zogen dafür aber 15 CDU-Politiker aus anderen Landesverbänden über die Listen in den Bundestag ein.
Nach dem Wahlrecht, das bei der Bundestagswahl 2021 galt, wären zwar die 18 erfolgreichen Direktkandidaten ins Parlament gekommen – aber auf Kosten der nun im Bundestag sitzenden 15 Listenkandidaten. Ausgenommen davon ist nur die CSU, die drei gewonnene Direktmandate nicht erhielt. Da sie nur in Bayern antritt, konnte dies auch nicht durch den Wegfall von CSU-Listenmandaten in anderen Ländern ausgeglichen werden.
Direktmandate versus Listenmandate
Das alte Wahlrecht habe den Mechanismus der „internen Kompensation“ beinhaltet, sagte der Wahlrechtsforscher Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung der Nachrichtenagentur dpa. Bevor für eine Partei Überhangmandate entstehen, wären für sie erst einmal Listenmandate in anderen Bundesländern gestrichen worden.
Dies hätte bei der Wahl jetzt zwar eine Vergrößerung des Bundestages verhindert. „Aber es würde einen Riesenstreit zwischen den einzelnen Landesverbänden verursachen.“
„Landesverbände, die traditionell viele Direktmandate gewinnen, manchmal auch nur deshalb, weil sie bei den Zweitstimmen nicht so stark sind, würden gewinnen“, erläuterte Vehrkamp. „Und Landesverbände, die bei Zweitstimmen stark sind, also viele Listenmandate haben, aber nicht so viele Direktmandate, die müssten Mandate abgeben.“
Gleiche Situation bei AfD und SPD
Insgesamt erhielten bei der Bundestagswahl 23 erfolgreiche Direktkandidaten und -kandidatinnen ihr Mandat mangels Zweitstimmendeckung nicht. Außer die 18 Unions-Politiker traf es auch vier der AfD und eine Sozialdemokratin. Bei ihnen ergibt sich dasselbe Bild wie bei der Union.
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Statt der vier AfD-Direktmandatsgewinner aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt zogen vier Listenkandidaten aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen ins Parlament ein. Und bei der SPD hatte eine Politikerin aus Bremen das Nachsehen, dafür erhielt eine Genossin aus Bayern ein Mandat.
Altes Wahlrecht hätte jetzt zu 633 Abgeordneten geführt
Im neuen Wahlrecht der Ampel-Koalition gibt es keine Überhangmandate und keine Ausgleichsmandate mehr, die bisher den Bundestag regelmäßig aufgebläht haben. Die Größe ist auf 630 Mandate gedeckelt, 2021 war der Bundestag noch auf 735 Abgeordnete angewachsen.
Nach Vehrkamps Angaben hätte das alte Wahlrecht beim Wahlergebnis von 2025 eine Größe des Bundestages von 633 Abgeordneten bewirkt. Hätten FDP und BSW den Sprung ins Parlament geschafft, wären es aber 705 Abgeordnete geworden, weil das alte Wahlrecht im Gegensatz zum aktuellen keinen Deckel für die Zahl der Abgeordneten kannte.
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CDU und CSU bestehen darauf, dass das Wahlrecht wieder geändert wird. Dies könnte sich in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD als schwieriger Punkt erweisen. (dpa/mp)
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