Atomkraftwerk Tihange
  • Das belgische Atomkraftwerk Tihange in der Nähe von Aachen gilt als anfällig. Es soll nun zehn Jahre länger laufen.
  • Foto: picture alliance/dpa | Oliver Berg

Belgien verschiebt Atomausstieg – Vorbild für Deutschland?

Der Krieg Russlands in der Ukraine ändert fast alles. Nun hat Belgien beschlossen, den Atomausstieg um zehn Jahre nach hinten zu verschieben. Ein Hammer, der auch die Diskussion in Deutschland erneut befeuern dürfte.

Eigentlich war Belgien felsenfest entschlossen, die Atomkraftwerke im Land 2025 still zu legen. Doch nun sollen das nahe der deutschen Grenze gelegene Kernkraftwerk Tihange 3 sowie das bei Antwerpen gelegene Kernkraftwerk Doel 4 bis mindestens Ende 2035 weiterlaufen. Als Grund für diesen Schritt nannte der der belgische Premierminister Alexander De Croo, die Versorgungssicherheit in Zeiten des Krieges in Europa.

Auch die belgischen Grünen stimmen der Verlängerung zu

Auch die grüne Energieministerin Tinne Van der Straeten von den Grünen, die sich bislang gesträubt hatte, stellte sich letztlich hinter den Vorschlag. „Wir haben eine Politik, die auf Erschwinglichkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit basiert“, erklärte sie. Speziell in Nordrhein-Westfalen wird die belgische Entscheidung mit Skepsis betrachtet. Denn vor allem in Tihange 3 ist es immer wieder zu Zwischenfällen gekommen. Das AKW stammt aus den 70er Jahren. Die Bundesregierung drängt seit Jahren auf eine Abschaltung.

Nordrhein-Westfalen äußert Sicherheitsbedenken und fordert die intensive Prüfung der Anlagen. Zwar handele es sich um eine souveräne Entscheidung jedes Staates, wie er seinen Strombedarf decken wolle, teilte das NRW-Wirtschafts- und Energieministerium am Samstag mit. „Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der EU müssen dabei aber natürlich die Sicherheitsanforderungen und damit auch die Belange der europäischen Nachbarn berücksichtigt werden.“


Der Newswecker der MOPO MOPO
Der Newswecker der MOPO

Starten Sie bestens informiert in Ihren Tag: Der MOPO-Newswecker liefert Ihnen jeden Morgen um 7 Uhr die wichtigsten Meldungen des Tages aus Hamburg und dem Norden, vom HSV und dem FC St. Pauli direkt per Mail. Hier klicken und kostenlos abonnieren.


Vom NRW-Ministerium heißt es weiter: „Um verlorenes Vertrauen in die Sicherheit der dann am Ende 50 Jahre alten Anlagen zurückzugewinnen, werden wir auf Transparenz bei der Entscheidung, eine umfassende grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung und strenge Maßstäbe bei der umfassenden Sicherheitsüberprüfung drängen“.

Kurios: Der BUND NRW macht darauf aufmerksam, dass die belgischen AKW mit Brennelementen aus Deutschland betrieben werden. „Wir bleiben damit Teil des Problems“, schrieb der Umweltverband auf Twitter. „Sowohl die Urananreicherung in Gronau als auch die Produktion von Brennstäben in Lingen müssen gestoppt werden!“

CSU wirbt für begrenzte Verlängerung der Laufzeiten

Die belgische Regierung will nun mit dem Betreiber „Engie“ verhandeln. Der dürfte für die Planänderung viel Geld verlangen. Immerhin hatte sich der Betreiber bereits auf den Ausstieg vorbereitet.

Ähnlich ist es auch in Deutschland. CSU-Chef Markus Söder hatte kürzlich erklärt, ein längerer Betrieb der verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland könne für einen begrenzten Zeitraum „sehr helfen“. Und auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte zu Kriegsbeginn zumindest laut darüber nachgedacht, die drei verbleibenden Atomkraftwerke in Deutschland länger laufen zu lassen. Eigentlich soll Ende des Jahres in Deutschland endgültig Schluss mit der Atomkraft sein.

Lemke: Laufzeitverlängerung in Krisenzeiten nicht vertretbar

Inzwischen hat Habeck die Idee aber wieder verworfen. Auch Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ist gegen eine Verlängerung. Längere Laufzeiten der drei Atomkraftwerke würden im Winter 2022/2023 keine zusätzlichen Strommengen bringen, sondern frühestens ab Herbst 2023 nach Befüllung mit neu hergestellten Brennstäben, so das Argument. Zudem wären umfangreiche neue Sicherheitsprüfungen notwendig. Lemke bedauerte Belgiens Entscheidung und sagte: „Gerade in einer Krisenzeit wie dieser halte ich eine Laufzeitverlängerung aus Sicherheitsgründen für nicht vertretbar. Sie kann uns sogar verwundbarer machen.“ Die große weltweite Sorge um die AKW-Sicherheit in der Ukraine führe allen gerade das potenzielle Schadensausmaß von Atomkraftwerken dramatisch vor Augen. „Wir befinden uns in einer Situation, in der wir unsere Energieversorgung sehr schnell krisenfest machen müssen. Das machen wir durch einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien.“

Das könnte Sie auch interessieren: Russen auf Raumstation ISS angekommen – in Ukraine-Farben

Länder wie Frankreich setzen weiter voll auf Atomstrom. Und auch in Osteuropa gibt es über einen Ausstieg bisher keine Diskussionen. Und das, obwohl die Brennstäbe für die AKW sowjetischer Bauart bis zu heutigen Tag aus Russland kommen. Das ist auch der Grund, warum sich Uran nicht auf der Sanktionsliste der EU gegen Putins Reich findet.

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp