Beschönigt die Bundesregierung die Afghanistan-Lage?
Die Taliban rücken vor. Aber Abschiebungen nach Afghanistan? Seien weiterhin vertretbar, hatte Außenminister Heiko Maas (SPD) Anfang des Monats verkündet. Seit Abzug der US-Truppen und der Bundeswehr „gab es sicherlich eine Zunahme von Gewalt. (…) Sollte sich das weiter dramatisieren, wird sich das auch in unseren Berichten niederschlagen.“ Medien liegt nun der aktuelle Bericht des Auswärtigen Amtes vor. Laut der „Taz“ wird die Lage vor Ort darin offenbar beschönigt, basiert zu großen Teilen auf Erkenntnissen aus dem Mai.
„Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage“ werden die Texte im sperrigen Beamtendeutsch auch genannt. Nachdem die afghanische Regierung wegen der dramatischen Lage Abschiebungen in ihr Land am 8. Juli hatte aussetzen lassen, hieß es aus Berlin: Man wolle die „Bitte“ des Landes prüfen. Aber Regierungssprecher Steffen Seibert machte direkt klar: Ändern wird sich so bald nichts. Rückführungen erfolgten weiterhin auf Grundlage einer „sehr genauen Beobachtung der Lage in Afghanistan“.
Veraltete und falsche Behauptungen?
Sehr genau? Laut der „Taz“ stehen im aktuellen Bericht des Außenministeriums, der an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), an die Innenbehörden der Länder und an zuständige Verwaltungsgerichte ging, veraltete und falsche Behauptungen, die diversen internationalen Studien zur Lage widersprechen.
Das fängt damit an, dass sich die meisten Informationen laut Bericht auf die Situation „Stand Mai“ bezögen. Von 388 Distrikten hatten die Taliban Anfang Mai erst 32 kontrolliert, mittlerweile sind es Berichten zufolge knapp 200, rund 15 konnte die Regierung zurück erobern.
Bodenkämpfe größte Gefahr für Zivilbevölkerung
Zudem heißt es in dem Dokument, dass es „starke regionale Unterschiede“ in der Sicherheitslage gebe. Damit wurden zuletzt Abschiebungen begründet. Tatsächlich sind mittlerweile nur noch wenige Regionen am Rande des Landes von der Taliban-Offensive verschont geblieben. Auch Großstädte wie Kabul werden mit Raketen beschossen. Und die Bodenkämpfe, die landesweit stattfinden, sind laut UN-Zivilopferbericht immer noch die größte Gefahr für Zivilist:innen.
Laut einer weiteren Studie, herausgegeben von der Diakonie in Deutschland und der Organisation „Brot für die Welt“, drohen Abgeschobenen und deren Familien in Afghanistan Gewalt, Diskriminierung und Stigmatisierung. Nicht nur durch die Taliban, sondern auch durch Mitbürger:innen wegen der missglückten Flucht. In dem Regierungs-Bericht liest sich das als „schwierige Aufbauphase mit einer volatilen Sicherheitslage“ – kein Grund, Abschiebungen auszusetzen.
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Bei den ehemaligen Helfer:innen der Bundeswehr in Afghanistan indes kommt zumindest Bewegung in die Sache: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach in ihrer Sommer-Pressekonferenz davon, dass nach einer „pragmatischen Lösung“ gesucht werde. Im Gespräch sei, Kosten für Charterflüge zu übernehmen.