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Corona-Zahlen explodieren: Mit voller Wucht: Zweite Welle überrollt Israel

Tel Aviv –

Noch im Frühjahr hieß es, man könne sich beim Corona-Management eine Scheibe von Israel abschneiden. Mit knallhartem Lockdown und der eilig entwickelten App hatte man die Pandemie rasch im Griff. Dann kamen die Lockerungen – und die zweite Welle überrollte das Land gnadenlos. Was ist schiefgelaufen? Und was kann Deutschland daraus lernen?

„Die Lockerungen waren viel zu hastig und ohne klare Strategie“, sagt Professor Arnon Afek, Vize-Direktor des Schiba-Krankenhauses bei Tel Aviv. Es habe regelrechte „Siegesfeiern“ gegeben, nachdem es Israel zunächst gelungen war, die Infektionszahlen zu drücken.

Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte die Bürger im Mai sogar euphorisch aufgefordert, wieder rauszugehen, „Kaffee trinken, auch Bier trinken“. Doch seitdem schnellt die Kurve wieder hoch, gestern wurde mit fast 2500 Fällen ein Rekordwert an täglichen Neuinfektionen erreicht. 

Afek: Schulen in Israel Hauptinfektionsquelle für Corona

Als Hauptinfektionsquellen sieht Afek unter anderem Schulen. „In Israel gibt es viel mehr Schüler in einer Klasse als in Deutschland“, sagt er. Auch wieder erlaubte Großveranstaltungen wie Hochzeiten hätten zur Ausbreitung beigetragen.

Zudem hätten sich viele Menschen sehr undiszipliniert verhalten und weder Maskenpflicht noch Abstands- oder Hygieneregeln eingehalten. Und: Die Polizei habe nicht ausreichend gegen die Regelverstöße durchgegriffen. 

Hinzu komme, dass die Untersuchungen der Behörden nach Entdeckung von Corona-Fällen sehr langsam und mangelhaft liefen, sagt Afek.

Professor Gabi Barabasch, wie Afek Ex-Generaldirektor des Gesundheitsministeriums, sieht das ähnlich: Das Ministerium habe im Kampf gegen die Pandemie völlig versagt, lautet sein vernichtendes Urteil. Außerdem habe das Volk „sich gehen lassen und unverantwortlich gehandelt“. 

Ansage an andere Länder: Vorsicht bei Großveranstaltungen!

All das zusammen habe „dazu geführt, dass wir jetzt die zweite Welle haben“, sagt Afek. Sein Rat an andere Länder: „Sie müssen extrem vorsichtig sein, vor allem, was Großveranstaltungen angeht.“

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Ein zweiter Lockdown scheint in Israel mittlerweile unvermeidlich: Gesundheitsminister Juli Edelstein sagte kürzlich, nur ein „Wunder“ könne diesen noch verhindern. Aus Sicht von Experten würde das die Wirtschaft des Landes, die ohnehin mit den Folgen des ersten Lockdowns zu kämpfen hat, aber noch weiter zurückwerfen. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 21 Prozent, der Unmut wächst. Nach einer Umfrage des Demokratie-Instituts IDI sind 75 Prozent der Israelis enttäuscht oder zornig über die Corona-Politik der Regierung.

Israel führt erste Lockdown-Maßnahmen wieder ein

Dennoch: In der Nacht zu Freitag hat die israelische Regierung eine Reihe von Schutzmaßnahmen wieder eingeführt. Unter anderem wurden Versammlungen von mehr als zehn Personen in geschlossenen Räumen und mehr als 20 Personen im Freien verboten. Ob sich dies auch auf Religionsgemeinschaften bezieht, konnte vorerst nicht geklärt werden, wie unter anderem die „Times of Israel“ berichtete. Ministerien schließen für den Publikumsverkehr, Kontakte sind demnach nur noch Online möglich. 

Zu den Lockdown-Maßnahmen am Wochenende gehört auch die Schließung einer Reihe von Geschäften, mit Ausnahme wichtiger Dienstleister wie etwa Apotheken oder Supermärkte. Zudem werden Fitnessstudios geschlossen, während Restaurants nur noch Essen zum Mitnehmen oder zur Lieferung nach Hause anbieten dürfen. Ab Freitag kommender Woche sollen auch die Strände gesperrt werden. 

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Israels Premier Netanyahu (r.)

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Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Benny Gantz wollten demnach erst am Wochenende über mögliche Schließungen von Schulen und Lehranstalten beraten.

Experte: Wirkliche Herausforderung kommt im Winter

Afek geht allerdings davon aus, dass die wirklichen Herausforderungen noch bevorstehen, nämlich im Winter, „wenn die Grippe und Corona zusammenkommen“.

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Noch dramatischer formuliert es Zvi Hauser, Vorsitzender des Außen- und Sicherheitsausschusses der Knesset. „Was jetzt passiert, ist eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was uns im Winter erwartet. Wir haben drei Monate Zeit, uns an allen Fronten vorzubereiten“, sagte er der Nachrichtenseite ynet. „So wie in Science-Fiction-Filmen, wenn es heißt, in drei Monaten wird ein Meteorit auf der Erde einschlagen.“ (mik/dpa)

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