Spahn und Wieler
  • Dort entlang? Erstmals seit Pandemie-Beginn sind sich Jens Spahn und Lothar Wieler uneins.
  • Foto: picture alliance/dpa/dpa-pool | Fabian Sommer

Das große Ringen um die Inzidenz als „Leitindikator“

Lange waren Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und RKI-Chef Lothar Wieler die Vorzeige-Kumpels der Pandemie. Woche für Woche mahnten sie einhellig in der Bundespressekonferenz: Leute, tragt Masken, haltet Abstand, die Sache ist noch nicht durch! Jetzt gibt es erstmals Differenzen zwischen den beiden: Spahn widerspricht Wieler in einem Punkt, der spätestens Richtung Herbst sehr entscheidend werden könnte: Soll die Inzidenz (alleiniger) Richtwert für Maßnahmen bleiben?

Während bei Olympia gerade die Ringer:innen um Medaillenplätze kämpfen, wird im politischen Berlin um den Pandemie-Kurs der kommenden Wochen und Monate gerungen. Allerdings geht es dabei nicht nur um Sachfragen, sondern oft auch um so etwas wie Plätze auf dem Treppchen. Schließlich ist am 26. September Bundestagswahl.

Und während der RKI-Chef und diverse Intensivmediziner:innen vor der möglichen Höhe der vierten Welle warnen und eine Niedrig-Inzidenz-Strategie anmahnen, wollen viele Politiker:innen, dass andere Faktoren in den Vordergrund rücken. Allen voran Jens Spahn.

Spahn: „Mit steigender Impfrate verliert Inzidenz Aussagekraft“

„Mit steigender Impfrate verliert die Inzidenz an Aussagekraft“, sagte Spahn in der „Bild“. Ergo: Es brauche „zwingend weitere Kennzahlen, um die Lage zu bewerten“. Etwa die Belegung der Krankenhausbetten mit Covid-Patient:innen. Allerdings: Ganz verzichten wolle er nicht auf die Inzidenz, dafür seien noch nicht genügend Menschen in Deutschland geimpft.

Damit widersprach Spahn seinem Kumpel Wieler ziemlich deutlich, der noch am Montag in einer Bund-Länder-Schalte dringend zu einer Niedrig-Inzidenz-Strategie geraten hatte. Die Inzidenz bleibe der „Leitindikator“ und somit „wichtig, um die Situation in Deutschland zu bewerten und frühzeitig Maßnahmen zur Kontrolle zu initiieren.“

Intensivmediziner warnt vor Zögern bei hohen Inzidenzen

Ähnlich äußerte sich etwa der Intensivmediziner Uwe Janssens im „Morgenmagazin“ von ARD und ZDF. Zu zögerlich würde gegen die seit drei Wochen steigenden Zahlen vorgegangen. „Wir haben im letzten Jahr gesehen, was das für Folgen hat, wenn man zuwartet und nichts macht.“

In Großbritannien etwa könne man sehen, was auch uns bald blühen könnte: Steigende Infektionszahlen führen zu mehr Klinik-Einweisungen, sogar viele junge Menschen würden dort derzeit beatmet. Sprich: Natürlich seien auch Krankenbett-Zahlen wichtig, die Inzidenz würde aber frühzeitig auf diese hinweisen, als eine Art Warnsignal.

Ähnlich wie Spahn positionierten sich die Minsterpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, und ihr Berliner SPD-Kollege Michael Müller. Beide wünschten sich im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass eine bundesweite Corona-Ampel eingeführt wird, die neben der Inzidenz auch die Zahl der belegten Klinik-Betten einbezieht.

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Durch den Impfschutz sei die Inzidenz weniger aussagekräftig, so Dreyer: „Deswegen müssen die Bundesländer mit der Bundesregierung zu einem neuen Warnwert kommen.“

Berlins Regierender Bürgermeister Müller verwies auf die Ampel im eigenen Bundesland: „In Berlin haben wir seit über einem Jahr mit der Corona-Ampel ein System, das neben der Inzidenz auch andere Indikatoren wie beispielsweise die Intensivbettenauslastung erfasst“, sagte er dem RND. „Das ist, glaube ich, der richtige Weg.“

Scheint, als müssten sich Medizin und Politik noch einig werden. Über den richtigen Weg.

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