EU: Wie umgehen mit den „starken Männern“?
Es gibt sie innerhalb der Europäischen Union und an ihren Grenzen: die „starken Männer“. Politiker also, die wenig auf Solidarität und Freiheit geben, aber viel auf Populismus und den eigenen Machterhalt. Die EU findet keine einheitliche Linie im Umgang mit ihnen, wie Angela Merkels letzter EU-Gipfel deutlich zeigte.
„Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen über die Zukunft Europas. Ich hätte mir mehr Mut gewünscht“, sagte die deutsche Kanzlerin nach der ersten Gipfelnacht. In dieser hatte sie eine krachende Niederlage erlitten. Denn die deutsch-französische Idee, mit Russlands starkem Mann, Wladimir Putin, stärker ins Gespräch zu kommen, ist in Europa nicht mehrheitsfähig.
Vor allem die Osteuropäer wollen Putin nicht „belohnen“
Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verfolgen die Strategie, Putin klare rote Linien aufzuzeigen und gleichzeitig das Gespräch mit ihm zu suchen. Dafür sollte es einen EU-Russlandgipfel „auf Chefhöhe“ geben. „Zugeständnisse ohne Gegenleistung sieht der Kreml nicht als Zeichen der Stärke“, argumentierte der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins gegen den Vorschlag. Auch Polen und andere Osteuropäer wollten keine „Belohnung“ für Putin.
Während also Russlands Autokrat mit einer diplomatischen Abfuhr leben muss (und vermutlich auch kann), wird dem starken Mann der Türkei fast schon der rote Teppich ausgerollt. Der EU-Gipfel stimmte einer weiteren Milliardenzahlung an Recep Tayyip Erdogans Regierung zu. 3,5 Milliarden soll das Land bis 2024 im Rahmen des Türkei-EU-Flüchtlingsdeals erhalten.
Geldsegen für Erdogan aus der EU
Offiziell soll das Geld vor allem den syrischen Flüchtlingen in der Türkei zu Gute kommen, wobei wohl ein erheblicher Teil der Summe andere Verwendung findet. Zudem hält sich Erdogan nicht wirklich an das vielfach kritisierte Abkommen. Laut einem internen EU-Bericht ist in diesem Jahr entgegen des Vertrags noch kein einziger Flüchtling von Griechenland in die Türkei zurückgeschoben worden – weil die türkischen Behörden sich sperren. Offiziell wegen Corona. Gleichzeitig hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Erdogan versprochen, über die von ihm heiß ersehnte Zollunion zu verhandeln.
Das könnte Sie auch interessieren: Deutsche Soldaten bei Angriff in Mali verletzt
Vollends inkonsequent und undurchsichtig wird der Umgang der EU mit den „starken Männern“ in den eigenen Reihen. „Für mich hat Ungarn in der Europäischen Union nichts mehr zu suchen“, sagte der niederländische Premier Mark Rutte mit Blick auf das umstrittene Anti-LGTBQ-Gesetz von Viktor Orban. So ähnlich sehen das die meisten Länder Westeuropas, auch wenn sie es nicht immer so deutlich sagen.
Ein Rauswurf aus der EU ist nicht möglich
Doch Orban hat eben auch Freunde in der EU. Allen voran die polnische Regierung unter PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski. Polen und Ungarn stärken sich innerhalb der EU gegenseitig den Rücken, wenn sie in die Kritik geraten. Das tun sie unter anderem auch wegen ihrer Attacken gegen unabhängigen Journalismus und die Justiz. Und einen Rauswurf von Ländern sehen die Europäischen Verträge nicht vor.
Immerhin hat sich die EU kürzlich grundsätzlich darauf geeinigt, einen sogenannten Rechtsstaatsmechanismus zu schaffen. Mit diesem könnte Ländern bei Rechtsverstößen EU-Geld gestrichen werden. Es wird aber noch dauern, bis dieser eingesetzt werden kann.
Mehr Samstag. Mehr Sonntag. Mehr MOPO!
Unsere extra-dicke MOPO AM WOCHENENDE hat es in sich: Auf 64 Seiten gibt’s aktuelle News, packende Reportagen, spannende Geschichten über Hamburgs unbekannte Orte und die bewegte Historie unserer Stadt, die besten Ausgehtipps für’s Wochenende, jede Menge Rätsel und vieles mehr. Die MOPO AM WOCHENENDE: Jeden Samstag und Sonntag für Sie am Kiosk – oder ganz bequem im Abo unter MOPO.de/abo
Die EU wird vom Geld und dem Markt zusammengehalten
Es bliebe dann also erst einem neuen deutschen Regierungschef oder einer Regierungschefin – Armin Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Grüne) oder Olaf Scholz (SPD) – überlassen, gemeinsame Werte auch mit tatsächlicher Macht durchzusetzen. Bis dahin hält die EU zusammen, was sie schon immer zusammengeschweißt hat: Geld aus Brüssel und die Vorteile eines gemeinsamen Marktes.