Holocaust-Überlebende: „Alle als Brüder und Schwestern geboren“
Unter dem Stichwort #WeRemember (engl. „Wir erinnern uns“) gedenkt die Welt in dieser Woche der Opfer des Nationalsozialismus, darunter sechs Millionen Juden. Mit dabei: der Deutsche Bundestag. Dort hielt am Donnerstag Inge Auerbacher, Überlebende des Konzentrationslagers Theresienstadt, eine bewegende Rede. Dass Zeitzeugen aus erster Hand berichten, ist sehr wichtig, wie Umfragen immer wieder zeigen.
Auerbacher erzählte davon, wie sie wie durch ein Wunder mit ihren Eltern Theresienstadt überlebt hat. Als sie in das Lager verschleppt wurde, war sie sieben Jahre alt. Sie appellierte an die Menschen in Deutschland, sich dem heutigen Antisemitismus entgegenzustellen. „Leider ist dieser Krebs wieder erwacht, und Judenhass ist in vielen Ländern der Welt, auch in Deutschland, wieder alltäglich“, sagte sie. „Diese Krankheit muss so schnell wie möglich geheilt werden.“ Sie erwähnte die gelben Sterne bei Corona-Demonstrationen, Verschwörungserzählungen in der Pandemie oder alltägliche Anfeindungen gegen jüdische Deutsche.
Erinnerung an die Spielkameradin Ruth
Die 87-Jährige erinnerte in ihrer Rede auch an ihre Spielgefährtin Ruth in Theresienstadt. Als diese mit ihren Eltern weitergebracht wurde nach Auschwitz, schworen sich die beiden Mädchen, sich später einmal gegenseitig zu besuchen. „Liebe Ruth, ich bin hier in Berlin, um dich zu besuchen“, rief Inge Auerbacher im Bundestag, den Tränen nah. Doch Ruth wurde ermordet in einer der Gaskammern in Auschwitz. „Sie erlebte noch nicht einmal ihren zehnten Geburtstag.“
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Die Überlebende schloss ihre Rede mit den Worten: „Menschenhass ist etwas Schreckliches. Wir sind alle als Brüder und Schwestern geboren. Mein innigster Wunsch ist die Versöhnung aller Menschen.“ Die Vergangenheit dürfe nie vergessen werden. „Zusammen wollen wir beten für Einigkeit auf Erden.“
Viele Jüngere wissen nichts mehr über die Zeit
Auch der israelische Parlamentspräsident Mickey Levy warnte vor der „Zerbrechlichkeit“ der heutigen Demokratien. Die Erinnerung an den Holocaust sei eine schwere Aufgabe, die jede Generation aufs Neue auf sich nehmen müsse, sagte Levy.
Doch genau das scheint immer seltener der Fall zu sein. Zwar sind der Nationalsozialismus und die Shoa in Deutschland Unterrichtsfach. Doch Umfragen zeigen schon seit Jahren: Bei vielen jungen Menschen ist das Wissen über die damalige Zeit kaum mehr vorhanden. 2019 zeigte eine große Studie von CNN, dass rund 40 Prozent der deutschen Jugendlichen zwischen 18 bis 34 Jahren „wenig“ oder „gar nichts“ über den Holocaust wissen. 33 Prozent der Europäer schätzten ihr Wissen als „gering“ ein.
Bundestagspräsidentin Bas: „Erinnern macht nicht immun“
Aber reicht Erinnern alleine? „Erinnern und Gedenken machen nicht immun gegen Antisemitismus“, mahnte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in ihrer Rede. Vielmehr seien Freiheit und Demokratie auf engagierte Bürger angewiesen.
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An der Gedenkveranstaltung hatte die gesamte deutsche Staatsspitze teilgenommen. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesrats-Präsident Bodo Ramelow (Linke) und Verfassungsgerichts-Präsident Stephan Harbarth anwesend.