Evakuierungen: „Wer es in den Flughafen schafft, wird ausgeflogen“
Die Lage am Flughafen Kabul hat sich etwas stabilisiert, aber es bleibt gefährlich: Weiterhin verweigern die Taliban den Afghanen zum Teil den Zugang zum militärischen Part des Flughafens. Inzwischen haben Bundeswehrsoldaten an einem Tor zum Flughafen einen eigenen Zugang für Deutsche und für afghanische Ortskräfte geschaffen. Wer es durch dieses Tor schafft, ist so gut wie in Sicherheit – wenn er auf einer Liste des Auswärtigen Amtes steht. Seit Tagen laufen beim Hamburger Niels Annen (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, zahlreiche Hilfsgesuche ein, die er mit dem Krisenstab der Bundesregierung koordiniert.
„Es sind dramatische Stunden“, sagt Annen zur MOPO. Immer wieder erreichen ihn dringende Bitten, diesen oder jenen Namen mit auf die rettenden Listen zu setzen – oft von Hilfsorganisationen, die ihre einheimischen Mitarbeiter aus Afghanistan holen wollen. Jede Meldung, die einigermaßen plausibel erscheint, wird bearbeitet, der Name notiert: „Wer auf einer Liste steht und es durch das Tor in den Flughafen schafft, wird ausgeflogen, egal, welche Priorisierung er hat“, sagt Annen. Beunruhigend: An der Schleuse, die die Bundeswehr errichtet hat, soll es durch versprengte Taliban immer wieder zu Schüssen kommen.
Kabul: Evakuierungen nach Taschkent
Am Mittwoch sind vier Flüge mit Bundeswehrmaschinen von Kabul nach Taschkent geplant. Bei dem ersten Flug am Vormittag waren 176 Passagiere an Bord. Das Verteidigungsministerium twitterte nach der Landung in Taschkent das Foto eines afghanischen Paares vor der Transportmaschine, erklärte, dass inzwischen 400 gefährdete Personen in Sicherheit gebracht worden seien. Von Taschkent aus geht es mit Chartermaschinen der Lufthansa weiter nach Deutschland.
Die Listen sind lang: Allein die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zählt knapp 700 afghanische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit ihren Familien ihre Ausreise nach Deutschland beantragt haben.
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Das Problem: Auf die Evakuierungsliste zu gelangen, ist für afghanische Ortskräfte derzeit deutlich einfacher, als das Tor zum Flughafen dann auch zu erreichen: Die Taliban haben die Zufahrtsstraße zum Flughafen gesperrt, lassen meist nur Ausländer durch. Und viele afghanische Ortskräfte müssen sich erst noch bis nach Kabul durchschlagen. Der deutsche Botschafter in Kabul soll nun in Doha (Katar) die Taliban in Verhandlungen dazu bringen, dass auch Afghanen evakuiert werden dürfen.
Selbst niederländische Staatsbürger mit afghanischen Wurzeln werden drangsaliert: US-Streitkäfte ließen mehrere Niederlände nicht zu einem wartenden Flugzeug, es sei zu chaotischen Szenen gekommen, wie die niederländische Außenministerin schildert. Das Flugzeug durfte sich nur 30 Minuten auf dem vom US-Militär kontrollierten Teil des Flughafens aufhalten, musste die Aufgehaltenen zurücklassen.
Kritik an später Hilfe für Ortskräfte in Afghanistan
Die schärfste Kritik an der späten Hilfe für die einheimischen Kräfte kommt vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte, gegründet von Bundeswehrsoldaten: „Die Menschen sind in Todesangst und hoffen auf eine Rettung, die nun immer schwieriger wird“, so der Koordinator Marcus Grotian. Bereits vor Wochen hatte die Organisation darauf gedrängt, dass die einheimischen Kräften mit dem Abzug der Bundeswehr ebenfalls außer Landes gebracht werden müssen. Passiert ist nichts.