Nie mehr ins Büro: Arbeiten, wo andere Urlaub machen – so hat es dieses Paar geschafft
Köln –
Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen – danach sehnen sich wahrscheinlich viele.
Jan Ollig und Bea Uhlenberg waren in den letzten Jahren in Bali, Thailand, Australien und Südafrika.
Doch statt nur zu reisen, arbeiten beide. Ganz egal an welchem Ort sie gerade sind.
Beide sind zu Experten für ortsunabhängiges Arbeiten geworden. Viel mehr Menschen könnten diesen Schritt wagen, glauben sie.
Das Paar sich intensiv mit dem Thema beschäftigt – und zeigt auf seinem Blog, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen könnte. Außerdem stellen sie in ihrer Buchreihe „Go Remote“ verschiedene Berufe vor und Menschen, die in dem Beruf schon ortsunabhängig arbeiten.
Die beiden Autoren geben in den Büchern Tipps, wie man selbst von zu Hause oder der ganzen Welt arbeiten kann. Was genau ortsunabhängiges Arbeiten ist, wie es funktioniert und welche Vor- und Nachteile es hat, haben die beiden im Interview verraten.
Was ist ortsunabhängiges Arbeiten eigentlich genau?
Jan Ollig: Das klassische Arbeiten kennen wir ja alle – jeder geht in sein Büro und verrichtet dort seine Arbeit. Beim ortsunabhängigen Arbeiten (auch remote Work genannt, zu Deutsch: aus der Ferne arbeiten) ist der Hauptunterschied, dass du nicht mehr lokal an einen Ort gebunden bist. Sprich: Egal wo man hingeht, man nimmt seine Arbeit einfach mit oder bleibt damit zu Hause.
Bea Uhlenberg: Unter anderem ist das Kommunikationsverhalten anders, wenn man ortsunabhängig arbeitet. Während man sich beispielsweise im Büro für einen Termin in einem Besprechungsraum trifft, führt man remote einen Video Call (zu Deutsch: Video-Anruf) durch.
Wie hat es bei euch angefangen?
Ollig: Das erste Mal remote gearbeitet habe ich 2006 im Studium, als ich im Auslandssemester in Valencia war. Von dort aus konnte ich weiter in meinem Nebenjob arbeiten. Nach der Uni habe ich zunächst den normalen Arbeitsalltag im Büro gehabt, bis ich mit einem Freund zusammen eine Unternehmensberatung gegründet habe, in der wir mit unserem Team ortsunabhängig gearbeitet haben.
Uhlenberg: Ich bin mega klassisch aufgewachsen im Arbeitsalltag. Irgendwann war ich die persönliche Assistenz des Finanzvorstands von Media-Markt-Saturn. Das hat mir nicht wirklich gefallen und ich habe, nach einiger Zeit in dieser Funktion, den Job gekündigt. Ich habe nach Möglichkeiten gesucht, mich umzuorientieren, weil ich im Finanzbereich allgemein unzufrieden war.
Dabei bin ich auf das Thema Online Marketing gestoßen und habe diesen Bereich in der Baufirma meiner Eltern aufgebaut. Die Firma war in Nordrhein-Westfalen – ich war aber mit Jan in Ingolstadt und wir wollten nicht umziehen. So bin ich in die ortsunabhängige Arbeit mehr oder weniger hineingerutscht.
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Woher kam die Motivation dann Ingolstadt zu verlassen und zu reisen?
Uhlenberg: Ich habe viel gelesen über digitale Nomaden und das hat mich krass angefixt: Jetzt habe ich den ortsunabhängigen Job, jetzt hält uns ja nichts mehr in Ingolstadt. Wir waren zum Beispiel in Bali, Thailand, Australien oder Südafrika. Aktuell sind wir in Calpe. Das ist in der Nähe von Alicante (Spanien).
Wie lange macht ihr das schon so? Habt ihr noch eine Wohnung in Deutschland?
Ollig: Wir haben in Deutschland noch einen offiziellen Wohnsitz – dort bekommen wir auch unsere Post hin. Wir sind zwar oft unterwegs, versuchen aber mehrere Wochen oder Monate an einem Ort zu bleiben, um uns dort einzufühlen. Die Zeit brauchen wir auch, um unsere Routinen aufzubauen und unsere Arbeit erledigen zu können.
Das machen wir seit mehr als zwei Jahren so. Schon vorher sind wir nie länger als zwei Jahre an einem Ort gewesen und immer für die Arbeit umgezogen. Wir haben dann den Spieß umgedreht und gehen seitdem einfach dorthin, wo es uns gefällt. Nur für die Arbeit umzuziehen ist auf Dauer ermüdend und dämpft die Motivation.
Was sind die Schwierigkeiten?
Uhlenberg: Wenn du jede Woche reist und ganz viel unterwegs bist, kann das auch unglaublich stressig werden – denn du brauchst Routine, die du dir aufbaust, und eine Infrastruktur. Da muss man sich gar keine Illusionen machen. Es ist manchmal auch nervig, wenn man zum Beispiel den Ort noch nicht kennt und kein gutes W-LAN-Netz findet – du willst eigentlich loslegen und arbeiten, kannst aber nicht, weil einem die Infrastruktur Steine in den Weg legt.
Was sind die Vorteile, wenn man ortsunabhängig arbeitet?
Uhlenberg: Vorteile gibt es super viele für Unternehmen und Individuen: Für mich selbst, kann ich entscheiden: ziehe ich raus aus der Stadt oder in ein anderes Land und kann so auch meine Mietausgaben und die Lebenshaltungskosten reduzieren. Die Unternehmen sparen, weil sie keine Büroräumlichkeiten vorhalten müssen.
Stichwort Auto: Es sind nicht nur die Kosten, sondern auch das Pendeln, das wegfällt – viele, die ortsunabhängig arbeiten, sind sehr erleichtert, dass sie nicht mehr täglich stundenlang im Stau stehen.
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Gab es einen Moment, wo ihr euch in ein normales Büro zurück gewünscht habt?
Ollig: Nein, überhaupt nicht. Jeder muss für sich wissen, wie er gerne arbeitet. Wenn du remote arbeitest, hast du einfach immer die volle Konzentration. Du gehst dorthin, wo du gut arbeiten kannst. Im Büro ist es hingegen oft so, dass jemand kommt, Fragen stellt und dich von deiner eigentlichen Arbeit ablenkt.
Ist ortsunabhängig zu arbeiten für jeden Typ geeignet?
Uhlenberg: Das ist echt eine Typenfrage – brauche ich feste Routinen, einen festen Tagesablauf und möchte immer dieselben Menschen treffen, ist es für mich nicht unbedingt ratsam remote zu arbeiten. Manche Menschen müssen auch aufpassen, wenn sie nur zu Hause arbeiten – theoretisch muss man ja das Haus gar nicht mehr verlassen. Deshalb sollte man sich mit Leuten verabreden, um sich nicht sozial zu isolieren.
Ollig: Es gehört auch eine gewisse Disziplin dazu, sich jeden Tag selbst zu motivieren – vor allem, wenn man selbstständig ist.
Können nur Selbstständige remote arbeiten?
Ollig: Es muss nicht jeder selbstständig sein, um ortsunabhängig zu arbeiten. Viele Unternehmen bieten die Strukturen, um remote zu arbeiten. Einige führen auch feste Homeoffice-Tage ein, damit die Leute zumindest einmal in der Woche von zu Hause arbeiten können.
Was, wenn ich die Nase voll hab von meinem normalen Bürojob, was sollte ich als erstes tun, um ortsunabhängig zu arbeiten?
Ollig: Zuerst muss ich schauen, ob ich von zu Hause arbeiten kann – bei einem Schlachter wird es eher schwierig. Wenn ich am Computer arbeite und mit den Kollegen auf digitalem Weg kommunizieren kann, sind die Voraussetzungen hingegen gut.
Zunächst würde ich immer das Gespräch mit meinem aktuellen Arbeitgeber suchen und argumentieren, warum es besser ist, wenn ich remote arbeite – wie eine höhere Effizienz. Ein guter Weg: Proben, von zu Hause zu arbeiten und es sukzessive ausbauen.
Können nur typische Bürojobs von zu Hause, aus dem Café oder dem anderen Ende der Welt ausgeführt werden? Oder gibt es da auch Überraschungen?
Uhlenberg: Drei Berufe haben mich am meisten überrascht: Eine Stylistin, die ihren Kunden online neue Garderoben verpasst. Sie lässt sich die Fotos der Leute schicken, stellt Outfits zusammen und kauft online für sie ein.
Eine Krankenschwester aus den USA (sie dürfen dort mehr als in Deutschland zum Beispiel: Rezepte ausstellen) nimmt zum Beispiel Anrufe von chronisch Kranken entgegen, die ihre Medikamente brauchen und stellt für sie Rezepte aus.
Ein Radiologe aus den USA, der zwei Firmen gegründet hat. Er hat ein Center mit Radiologen gegründet und Krankenhäuser und Ärzte können ihnen die Bilder von Untersuchungen schicken und sie werten diese dann aus. Oder Privatleute können die Bilder von ihrem CT oder MRT senden, wenn sie eine zweite Diagnose haben möchten.
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Ist ortsunabhängiges Arbeiten ein guter Weg, um mehr Familienfreundlichkeit in die deutsche Arbeitswelt zu bringen?
Uhlenberg: Ja, definitiv. Alleine, dass die Pendelei wegfällt, bringt sehr viel mehr Ruhe in die Familie. Die halbe Stunde oder Stunde, die dann länger zur Verfügung steht, kann ich mit meinen Kindern verbringen. Gerade für Väter ist das interessant, da sie ja meistens doch noch mehr unterwegs sind als die Mütter und ihre Kinder weniger aufwachsen sehen.
Zum Weiterlesen: Bea Uhlenberg, Jan Ollig: „Go Remote! Für Texter und Kreative“, Band 1, Wenn-nicht-jetzt-Verlag, 19,99 Euro
Bea Uhlenberg, Jan Ollig: „Go Remote! Für Soziale und Kommunikative“, Band 2, Wenn-nicht-jetzt-Verlag, 19,99 Euro
Bea Uhlenberg, Jan Ollig: „Go Remote! Für Technik, Zahlen & Organisationstalente“, Band 3, Wenn-nicht-jetzt-Verlag, 19,99 Euro