„Historisches Ausmaß“: Lauterbach erwartet steigende Krankenkassenbeiträge
Laufen die Kosten für die Gesundheitsversorgung in Deutschland immer weiter aus dem Ruder? Gerade sieht es sehr danach aus – denn für 2023 wird in der Gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit von 17 Milliarden Euro erwartet. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach bereits von einem „historischen Ausmaß“ – und machte vor allem Finanzminister Christian Lindner (FDP) verantwortlich.
In Deutschland werden rund 73 Millionen Versicherte von einer der 96 gesetzlichen Krankenkassen versorgt, was etwa 90 Prozent der Bevölkerung entspricht. Und diese werden kaum um höhere Beiträge herumkommen, wenn Finanzminister Lindner an seiner bisherigen Politik, also auch der Schuldenbremse für 2024, festhalte, so Lauterbach in einem Interview mit dem „Handelsblatt“.
Droht ein Defizit von mehr als 30 Milliarden Euro?
Lauterbach konkret: „Der Finanzminister legt seinen Schwerpunkt auf die Einhaltung der Schuldenbremse und auf Projekte wie die Aktienrente und die Bundeswehr. Dann lassen sich steigende Lohnzusatzkosten kaum vermeiden.“ Konkrete Zahlen, was die Steigerung bei den Beiträgen betrifft, wollte er aber nicht nennen. Bereits im vergangenen Jahr hieß es, dass die Beiträge um 0,3 Prozent, also auf einen neuen Rekordwert von durchschnittlich 16,2 Prozent des Bruttolohns, steigen müssen – um das erwartete Milliarden-Defizit zu decken.
Und es könnte noch schlimmer kommen, denn das Loch könnte bei schwacher Konjunktur in den nächsten Jahren noch größer werden. Uwe Klemens, Verbandschef der Ersatzkassen (vdek), warnte, den Krankenkassen drohe in den kommenden Jahren ein Defizit von „30 Milliarden Euro plus X“, sofern keine einschneidenden Reformen umgesetzt würden.
Krankenkassen-Beiträge: Lauterbach plant Reform des Gesundheitssystems
Doch wie weit sollen die Beiträge nun noch steigen – und vor allem: Wie sollen die Menschen das bezahlen? Einem Vorschlag zur Finanzierung des Gesundheitssystems erteilte Lauterbach bereits eine Absage: Der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen schlug vor, dass gesetzlich Krankenversicherte pro Jahr gestaffelt bis zu 2000 Euro Selbstbeteiligung zahlen sollen.
„Wir können uns das System nicht mehr leisten“, sagte der Freiburger Ökonomie-Professor der „Bild“. Patienten müssen künftig mehr aus eigener Tasche dazu bezahlen.“ Ohne ein Gegensteuern werde ansonsten der Beitragssatz bis 2035 auf bis zu 22 Prozent vom Bruttolohn steigen, warnte der Ökonom. Raffelhüschen sprach sich auch dafür aus, dass Versicherte Verletzungen nach selbstgewählten Risiken – wie Skifahren – komplett selbst bezahlen sollten. „Auch Raucher müssen sich an den Folgekosten von Behandlungen stärker selbst beteiligen“, verlangte er. Lauterbachs Absage dazu: „Für Uniprofessoren wie Herrn Raffelhüschen oder mich wären diese Vorschläge bezahlbar“, twitterte er. „Für die große Mehrheit der Bevölkerung geht das nicht. Der Vorschlag wird nicht kommen.“
Stattdessen plant der SPD-Politiker eine Reform des Gesundheitssystems, um die explodierenden Kosten im Kassensystem aufzufangen – unter anderem sollen bei den Kliniken die Kosten gedrückt werden. „Bei der Reform geht es nicht um Schließungen. Dafür braucht man keine Reform, die Welle der Schließungen hat sowieso schon begonnen“, so Lauterbach im „Handelsblatt“. Ohne Reform stünden eine Menge Krankenhäuser vor dem schnellen Aus.
Stattdessen will Lauterbach mögliche Fehlanreize im Gesundheitssystem abbauen. Stichwort: unnötige Eingriffe. „Die Flut an Hüft- und Kniegelenk-Operationen muss ein Ende haben“, sagte der 60-Jährige. Im Fallpauschalen-System sind derartige Eingriffe für die Häuser besonders lukrativ, da sie hoch vergütet werden und zudem gut planbar sind. Im Gegensatz zur Notfallmedizin, die es erfordert, viel Personal vorzuhalten.
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So sollen die Kliniken künftig feste Beträge für das Vorhalten von Personal, einer Notaufnahme oder notwendiger Medizintechnik bekommen. Gestern beriet eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erstmals über die geplante Reform zur Finanzierung und Neuordnung der Krankenhäuser. (alp)