Flüchtlingsboot sinkt im Ärmelkanal – 27 Tote: Macron und Johnson beraten sich
Nach dem Untergang eines Flüchtlingsbootes im Ärmelkanal mit mindestens 27 Todesopfern am Mittwoch haben Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Boris Johnson über Schritte zur Verhinderung weiterer solcher Dramen beraten.
Beide hätten sich auf verstärkte Anstrengungen verständigt, Schleuserbanden zu stoppen, die das Leben von Menschen in Gefahr bringen, teilte die britische Seite nach dem Telefonat am späten Mittwochabend mit. Zugleich betonten Macron und Johnson die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit mit Belgien, den Niederlanden und anderen Partnern auf dem Kontinent.
Boot mit 33 Migranten an Bord kentert auf Ärmelkanal
Macron äußerte nach Angaben des Elysée-Palastes in Paris die Erwartung, dass die Briten zur Zusammenarbeit bereit seien und das Flüchtlingsdrama nicht zu politischen Zwecken instrumentalisierten. Es müsse in einem Geist der Kooperation und unter Achtung der Menschenwürde gehandelt werden.
Am Mittwoch war ein Boot mit 33 Geflüchteten, die illegal nach Großbritannien einreisen wollten, im Ärmelkanal gekentert. Dabei starben mindestens 27 Menschen, darunter fünf Frauen und ein Mädchen, wie die französischen Behörden mitteilten. Vier mutmaßliche Schleuser wurden festgenommen. Nach französischen Angaben war es der bisher schlimmste Vorfall mit Migranten in der Meeresenge.
Am Mittwoch war das Wasser im Ärmelkanal recht ruhig, auch deshalb wagten nach Ansicht von Experten viele Migranten die Überfahrt. Der französische Innenminister Darmanian sagte, 255 Menschen hätten England erreicht, 671 seien noch in Frankreich gestoppt worden. In Frankreich seien 580 Polizisten an der Küste im Einsatz gewesen.
Innenminister Gérald Darmanin sagte, das Schlauchboot ähnele eher einem aufblasbaren Swimmingpool für den Garten. Der Ärmelkanal zwischen Dover und Calais gilt als die verkehrsreichste Schifffahrtsstraße der Welt.
Frankreichs Innenminister fordert härteres Vorgehen gegen Schleuser
„Dies zeigt, dass die Banden, die Menschen in diesen gefährlichen Gefährten aufs Meer schicken, sich von nichts stoppen lassen“, sagte Premier Johnson. Er bot an, die französischen Beamten bei den Kontrollen am Kanal zu unterstützen. In Nordfrankreich warten etliche Flüchtlinge unter widrigen Umständen auf eine Überfahrt nach Großbritannien. Wenn den Schleusern nicht deutlich gemacht werde, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniere, würden sie weiterhin die Leben von Menschen aufs Spiel setzen und „mit Mord davonkommen“, sagte Johnson.
Auch Darmanin pochte auf ein härteres Vorgehen gegen die Schleuser, die er mit Terroristen und großen Drogenbossen verglich. „Das ist ein internationales Problem“, sagte er. „Die Antwort muss auch aus Großbritannien kommen, wir müssen gemeinsam gegen Schleuser kämpfen.“ Nötig sei ein koordiniertes Vorgehen auch unter Einbindung von Belgien, den Niederlanden und Deutschland.
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron verwies auf die gemeinsamen Anstrengungen mit Großbritannien. Seit Jahresbeginn seien an der französischen Küste bereits 1552 Schleuser festgenommen und 44 Schleusernetzwerke zerschlagen worden. „Wenn wir nicht sofort unsere Anstrengungen verstärken, werden sich weitere Tragödien wiederholen.“
Johnson schlägt Kritik auch im eigenen Land entgegen
Im laufenden Jahr haben bisher mehr als 25 700 Menschen illegal den Ärmelkanal überquert. Das sind mehr als dreimal so viele wie im gesamten Jahr 2020. Erst im Juli hatten London und Paris ein neues Kooperationsabkommen vereinbart, um die wachsende Zahl der Migranten, die mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nach England kommen, in den Griff zu bekommen. London sagte dabei 62,7 Millionen Euro zu, um die französischen Behörden zu unterstützen.
Kritik schlug Johnson aber auch im eigenen Land entgegen. Die menschenfeindliche Politik seiner konservativen Regierung sei für die Tragödie verantwortlich, betonten mehrere Politiker der oppositionellen Labour-Partei am Mittwochabend. Anstelle scharfer Asylgesetze müsse die Regierung humane und sichere Wege nach Großbritannien bieten.
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Vor allem die britische Innenministerin Priti Patel steht wegen der wachsenden Zahl an Migranten unter Druck. Konservative Kreise und Medien sprechen von einer „Krise“. Allerdings ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Großbritannien Asyl beantragen, deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Patel hatte angekündigt, die Überfahrten zu beenden. Nach dem Brexit führte die Regierung scharfe Zuwanderungsregeln ein. Noch aber hat Patel kein Mittel gefunden, die Migration über den Ärmelkanal zu stoppen. Zuletzt kündigte sie erneut eine Verschärfung der Asylregeln an. (alp/dpa)