Niemals „Talibanistan“: Afghanischer Vizepräsident schreibt Brief an den „Spiegel“
Er will den Widerstand gegen die Taliban anführen: Der afghanische Vizepräsident Amrullah Saleh ist ins Pandschir-Tal geflüchtet und hat sich selbst zum Präsidenten erklärt – und hat dem „Spiegel“ nun einen Brief geschrieben.
Per WhatsApp hat die Spiegel-Reporterin Susanne Koelbl den drei Seiten langen, handschriftlichen Brief in Form von Fotos erhalten. „Aus Sicherheitsgründen“ könnte er keine Fragen präzise beantworten, heißt es in dem Brief. Auch ein Telefonat sei zu riskant – zu hoch die Gefahr, geortet zu werden.
Widerstandskämpfer gegen die Taliban sammeln sich im Pandschir-Tal
Saleh befindet sich im Pandschir-Tal rund 150 Kilometer nordöstlich von Kabul, das als letzte Region im Land noch nicht von den Taliban eingenommen wurde. Dort sammelt sich eine Gruppe, die sich „Nationale Widerstandsfront von Afghanistan“ nennt und sich dem Widerstand gegen die Taliban verschrieben hat. Unter ihnen sollen sich auch Soldaten der afghanischen Armee befinden.
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Angeführt werden die Widerstandskämpfer auch von dem 32-jährigen Ahmad Massoud. Sein Vater – unter dem Spitznamen „Löwe von Pandschir“ bekannt – hatte in den 1990er Jahren gegen die Taliban gekämpft, bevor er bei einem Selbstmordanschlag getötet wurde.
Saleh gibt USA Mitschuld an Aufstieg der Taliban – und verurteilt ehemaligen Präsidenten Ghani scharf
In den vergangenen Tagen hatten sich Widerstandskämpfer per Twitter oder Interviews an den Westen gewendet und für Unterstützung geworben. In dem Brief an den „Spiegel“ gibt Saleh auch den USA die Schuld an dem Aufstieg der Taliban: Der Doha-Prozess, bei dem die Taliban mit den USA und anderen Staaten über ein Friedensabkommen verhandelt hatten, sei der „Anfang vom Ende“ gewesen, schreibt er. Er wirft dem US-Sonderbotschafter vor, den afghanischen Staat übergangen und so den Taliban Legitimität verschafft zu haben. Das Weiße Haus unter Donald Trump und Joe Biden sei naiv, erschöpft und kurzsichtig gewesen, was Pakistaner und die Taliban ausgenutzt haben sollen.
Die Flucht des ehemaligen afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani verurteilt Saleh scharf. „Er ist geflohen, er hat seine eigene Seele verraten, man hat sich in ihm geirrt“, zitiert ihn der „Spiegel“. „Patrioten sind bereit, das höchste Opfer zu bringen.“ Saleh sieht sich selbst als legitimen Nachfolger und Präsidenten Afghanistans.
„Kampf für ganz Afghanistan”: Widerstandskämpfer werben um Unterstützung
„Wir sind hier, um den afghanischen Pluralismus und die Vielfalt zu verteidigen“, schreibt Saleh. „Wir sind am Hindukusch, im Pandschir, aber wir führen einen Kampf für ganz Afghanistan.“ Er ruft den Westen dazu auf, ihn zu unterstützen und Pakistan mit konkreten Sanktionen zu drohen.
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Wenn die Taliban einen Zeitplan vorlegten, wann und wie die afghanische Öffentlichkeit in ihre Entscheidungen einbeziehen wollen, wäre er bereit, ernsthafte Verhandlungen aufzunehmen. Man sei aber auch auf einen militärischen Konflikt vorbereitet, sollten sich die Taliban dafür entscheiden. Das Land werde niemals zu „Talibanistan“ werden, so Saleh.