Putins Ukraine-Invasion: Belarus steht offenbar vor Kriegseintritt
Es ist eine „Zeitenwende“, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) es am Sonntag formulierte: Russland hat vergangene Woche eine Invasion in der Ukraine gestartet. Doch der Krieg könnte sich bald sogar noch ausweiten. Es gibt Anzeichen, dass sich noch am Montag ein weiteres Land in den Konflikt einmischt.
Wird die Eskalation bald noch größer? Ukraines Nachbarland Belarus könnte sich nach Spekulationen am Montag offiziell mit Soldaten in den von Russland gestarteten Angriffskrieg einschalten.
Belarussische Fallschirmjäger sollen den Befehl bekommen haben, im Morgengrauen in die Ukraine zu fliegen, schrieb die ukrainische Agentur Unian. Sie beruft sich dabei auf Informationen von Andrej Strischak von der Nichtregierungsorganisation Bysol (Belarus Solidarity Foundation), die sich für Betroffene von politischen Repressionen in Belarus einsetzt. Ob diese Informationen stimmen und Fallschirmjäger aus Belarus tatsächlich in der Ukraine landeten, ließ sich zunächst nicht unabhängig prüfen.
Sicher aber ist: Auch die USA hegen schon länger Befürchtungen eines Kriegseintritts von Belarus. „Es zeigt sich sehr deutlich, dass Minsk jetzt der verlängerte Arm des Kreml ist“, sagte jüngst ein US-Regierungsoffizieller der „Washington Post“ zufolge. Die EU hatte bereits am Sonntagnachmittag angekündigt, Belarus in ihr Sanktionspaket aufnehmen zu wollen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach auf Twitter mit Blick auf Belarus vom „anderen Angreifer in diesem Krieg“.
Am Montag sollen an der Grenze zu Belarus Friedensgespräche starten
Das Timing eines möglichen Kriegseintritts ist pikant: Am Montagvormittag begannen an der belarussisch-ukrainischen Grenze Gespräche zwischen der Ukraine und Russland über eine mögliche Friedenslösung. Die Ukraine hatte Friedensgespräche lange abgelehnt, weil der Kreml bisher auf der belarussischen Hauptstadt Minsk als Ort der Verhandlungen bestand. Das Land beteilige sich an Kampfhandlungen gegen die Ukraine, sagte Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj. Er sei offen für alle Orte, „von denen aus keine Raketen auf die Ukraine geschossen werden“.
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Seit Kriegsbeginn berichteten Beobachter immer wieder, dass russische Angriffe auf die Ukraine auch von belarussischen Staatsgebiet aus gestartet worden waren. Am Montagmorgen etwa meldete die Zeitung „Kyiv Independent“ auf Twitter, Russland habe mit Iskander-Raketensystemen einen Angriff auf den ukrainischen Flughafen Zhytomyr durchgeführt. Die Systeme seien dabei in Belarus stationiert und von dort abgefeuert worden. „Zuvor hatte Weißrussland erklärt, es werde angesichts der bevorstehenden Friedensgespräche der Ukraine mit Russland keine Luftangriffe von seinem Territorium aus zulassen“, schrieb die Zeitung weiter.
Tatsächlich hatte der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko nach Angaben Selenskyjs noch am Sonntag versichert, nicht offiziell in den Krieg eingreifen zu wollen. Gleichzeitig gab er zu, dass russische Truppen von seinem Land aus die Ukraine angegriffen hätten. Zwei Raketen seien abgefeuert worden, „weil Kiew drei bis vier Raketendivisionen an der Grenze“ zu Belarus stationiert habe, sagte Lukaschenko Staatsmedien zufolge in Minsk.
Referendum in Belarus sichert Lukaschenko weitere Macht zu
Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch: Am Sonntag fand in Belarus ein Referendum statt, dessen Ausgang Lukaschenko weitere Macht zusichert. Nach einer Mitteilung der Wahlkommission in Minsk stimmten rund 65 Prozent der Wähler für eine Verfassungsänderung, bei zehn Prozent Gegenstimmen, wie die Agentur Tass am Montagmorgen berichtete. In der Hauptstadt kam es am Rande der Abstimmung zu anti-russischen Protesten, die von Sicherheitskräften sofort niedergeschlagen wurden. Mehr als 300 Personen sollen festgenommen worden sein.
Die Verfassungsänderung soll dem seit 1994 mit harter Hand regierenden Lukaschenko, dem Mord, Folter und weitere schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, weitere Amtszeiten ermöglichen und ihm nach einem eventuellen Rückzug aus der Politik lebenslange Straffreiheit garantieren. Daneben soll auch eine künftige dauerhafte Stationierung russischer Truppen und Atomwaffen im Land möglich werden.
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Nach der mutmaßlich gefälschten belarussischen Präsidentenwahl im Sommer 2020 geriet Machthaber Lukaschenko zunehmend unter Druck. Es gab Massenproteste und wochenlange Unruhen. Auch die EU erkennt den oft als „letzten Diktator Europas“ kritisierten 67-Jährigen nicht mehr als Präsidenten an und verhängte weitreichende Sanktionen.
An der Seite Lukaschenkos verblieb am Ende vor allem Moskau, wo Minsk mit Milliardenkrediten in der Kreide steht. Dass Lukaschenko nun Belarus als Ort für russisch-ukrainische Verhandlungen mit Nachdruck anbot, dürfte auch daran liegen, dass er darin eine Chance auf ein Comeback auf die weltpolitische Bühne wittert. (mik)