Proteste im Iran bringen Deutschland unter Zugzwang: „Wegschauen ist keine Option“
Die Proteste im Iran flauen nicht ab – und setzen die EU und auch Deutschland unter Druck. Die Bundesregierung reagiere zu zögerlich, so die Kritik. Jetzt soll es neue Sanktionen geben. Aber bringt das überhaupt etwas?
Noch immer gehen Tausende Menschen, vor allem Frauen und junge Menschen, im Iran auf die Straße, verbrennen Kopftücher und protestieren gegen das repressive Regime. Und das Regime? Geht weiter brutal gegen Demonstrierende vor, das berichten Medien und das ist auf vielen Videos zu sehen, die in den sozialen Medien kursieren. Es ist von bürgerkriegsähnlichen Zuständen die Rede. Zahlreiche Menschen wurden bereits verhaftet. Die Organisation „Iran Human Rights“ spricht von bisher mehr als 130 Toten.
Proteste im Iran: Bundesregierung unter Druck
Weltweit solidarisieren sich Menschen mit den Demonstrierenden. Die USA haben bereits Sanktionen gegen die iranische „Sittenpolizei“ verhängt. Auslöser für die Proteste war der Tod der 22-jährigen Kurdin Jina „Mahsa” Amini, die von eben dieser Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen haben soll.
Und die deutsche Bundesregierung? Die verurteilte das Vorgehen der iranischen Regierung, forderte sie auf, Aminis Tod zu untersuchen und bestellte den iranischen Botschafter ein. Auch wurden gemeinsam mit anderen EU-Ländern Sanktionen angekündigt und den Demonstrierenden wurde Solidarität bekundet. Kritikern ist das aber zu wenig, denn konkrete Folgen für das iranische Regime blieben bislang aus.
Besonders Bundesaußenministerin Annalena Baerbock gerät zunehmend in Zugzwang, schließlich hatte die Grünen-Politikerin bei Amtsantritt eine feministische Außenpolitik versprochen. „Eine wertegeleitete, feministische Außenpolitik bemisst sich für mich als Politikerin nicht daran, wie laut oder oft man twittert“, wehrte sich Baerbock. Eine feministische Außenpolitik bedeute oftmals Arbeit hinter den Kulissen.
Kaine Sanktionen gegen Iran wegen Atomabkommen?
Kritiker vermuten dagegen, dass der Druck auf die iranische Regierung wegen der Verhandlungen um das seit 2018 auf Eis liegende Atomabkommen bisher ausgeblieben ist. Dieses Abkommen soll den Iran daran hindern, eine Atombombe zu bauen. Deutschland gilt als wichtiger Verhandlungspartner zwischen dem Iran und den USA. Dem Online-Magazin „Telepolis“ nach gibt es auch bei anderen EU-Mitgliedstaaten aus Sorge um das Atomabkommen Vorbehalte gegenüber Sanktionen – auch wenn das Paket grundsätzlich nicht in Frage stehe.
„Es wirkt wie ein Schlag ins Gesicht der Demonstrierenden, ein Atomabkommen zu verhandeln, wenn im Iran auf die Bevölkerung geschossen wird“, meint dagegen Danial Ilkhanipour (SPD). Der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete, der selbst iranisch-stämmig ist, findet das Verhalten der Bundesregierung zu zögerlich. „Wir brauchen jetzt einen maximalen Druck“, sagt er zur MOPO. „Ich verstehe nicht, warum wir Putin gegenüber so deutliche Worte finden und sehr schnell gezielte Sanktionen aussprechen konnten, es aber beim Iran nicht schaffen.“
Danial Ilkhanipour: „Wegschauen ist keine Option“
Dabei sei die Situation für die Bevölkerung sehr gefährlich: „Ich sehe die Chance eines Umbruchs, aber ich fürchte auch, dass das Regime umso härter und blutiger zurückschlägt, wenn die internationale Aufmerksamkeit abebbt.“ Wegschauen sei keine Option. „Die Menschen dort kämpfen für Werte, die wir auf unsere Fahnen geschrieben haben. Jetzt müssen wir zeigen, dass wir es ernst meinen und Taten folgen lassen.“
Ilkhanipour fordert gezielte Sanktionen gegen iranische Machthaber mit Visa-Einschränkungen oder das Einfrieren von Finanzmitteln. Sanktionen also, mit denen auch gegen russische Oligarchen vorgegangen wurde. An den bisherigen Sanktionen gegen den Iran wurde kritisiert, dass sie nicht die Mitglieder der Regierung, sondern vor allem die iranische Bevölkerung getroffen haben.
Annalena Baerbock sieht begrenzte außenpolitische Möglichkeiten
Doch ließe sich das Regime mit derartigen Sanktionen überhaupt beeindrucken? Während Baerbock jüngst twitterte, es sei schwer zu ertragen, dass „unsere außenpolitischen Möglichkeiten“ begrenzt seien, glaubt Ilkhanipour an die Wirksamkeit gezielter Sanktionen. „Das würde die Bevölkerung motivieren und im Machtzirkel zu Erosionen führen.“
Dem „Spiegel“ zufolge geht es bei dem geplanten Sanktionspaket nun um Maßnahmen gegen 16 hochrangige Persönlichkeiten und gegen iranische Einrichtungen. Laut „Telepolis“ soll auch die gesamte Sittenpolizei auf die Sanktionsliste aufgenommen werden. Am 17. Oktober soll das Paket in der EU beschlossen werden. Die EU wolle sich zudem mit den USA, Kanada, Australien und Großbritannien abstimmen.
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Zwischen der EU und Teheran wird der Ton unterdessen schärfer: Am Donnerstag bezeichnete das EU-Parlament Aminis Tod als Mord und forderte eine Bestrafung der Täter. Teheran warnte, dass der Iran „adäquat reagieren“ werde, solle die EU „unsachliche Maßnahmen“ ergreifen. Ilkhanipour bezeichnet diese Einschüchterungsversuche als Verzweiflungstat. „Im Fall von Putin haben wir uns auch nicht einschüchtern lassen.“