Rechte, Linke, Muslime? Wer die Antisemiten im Land sind
Linke, Rechte, Migranten: Wenn es um den erschreckenden Antisemitismus geht, der gerade auf unseren Straßen, in Gesprächen oder in sozialen Medien artikuliert wird, wird die Schuld schnell bei bestimmten Gruppen gesucht. Dabei ist meist mehr Mutmaßung als Wissen im Spiel. Daher hier ein paar Fakten zur Versachlichung der Debatte, bei welchen Gruppen im Land Antisemitismus besonders verbreitet ist.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat im Sommer eine umfangreiche Studie publiziert, basierend auf 5500 im Frühjahr 2022 geführten Telefoninterviews. Die Ergebnisse sollen repräsentativ für die deutschsprachige Wohnbevölkerung ab 16 Jahren sein – sie bezieht sich damit nicht auf die zuletzt Zugewanderten, um die sich ein Teil der aktuellen Debatte dreht.
Die große Mehrheit lehnt Antisemitismus entschieden ab
Die gute Nachricht: „Eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt antisemitische Äußerungen entschieden ab“, so das Fazit. Aber: Wenige Prozent finden sogar Gewalt gegen Juden akzeptabel – und in der Realität bedeutet das eine „nicht zu unterschätzende Zahl potenzieller Gefährder“, so die Autoren.
Doch was ist genau Antisemitismus? Die Autoren unterscheiden klassischen Antisemitismus. Dabei werden Juden einerseits als hinterhältig, gierig, manipulativ oder parasitär abgewertet. Gleichzeitig wird ein übermächtiges Feindbild konstruiert, in dem die Juden angeblich heimlich die Welt regieren. Dass Juden hinterhältig seien, lehnen dabei 91 Prozent der Befragten ganz oder eher ab. Die Mär von den heimlichen Herrschern immerhin 80 Prozent.
„Juden sind die heimlichen Herrscher der Welt“
Dann gibt es den sekundären Antisemitismus. Dieser geht von Holocaust-Relativierung bis zur Legitimierung von Gewalt, nach dem Motto: „Juden müssen sich nicht wundern, wenn sie einen drauf bekommen“. Diese Aussage etwa lehnen 88 Prozent ganz oder eher ab – der Rest teilt sie „teils teils“ oder stimmt zu.
Beim israelbezogenen Antisemitismus geht es unter anderem um das Existenzrecht Israels. Auch dieses wird von mehr als 80 Prozent der Befragten anerkannt, nur vier Prozent sind klar der Meinung, Israel dürfte nicht mehr existieren.
Rechte, Linke, Muslime: Diese Gruppen sind auffällig
Auffallend sind mehrere Gruppen. Während Geschlecht, Alter, Ost/West-Wohnort irrelevant scheinen, ist der Bildungshintergrund wichtig. Je niedriger die formale Bildung, desto höher die Zustimmung zu antisemitischen Äußerungen.
Auch Muslime weisen demnach „signifikant höhere Zustimmungswerte“ zu antisemitischen Aussagen als Christen oder Konfessionslose auf. Dreimal so viele wie der Durchschnitt (12 Prozent zu 4 Prozent) halten Juden für pauschal hinterhältig, viermal so viele (26 Prozent) halten Juden für die heimlichen Herrscher der Welt, und immerhin sieben Prozent akzeptieren antisemitische Gewalt. Muslime sind damit auch deutlich auffälliger als nicht-muslimische Menschen mit Migrationshintergrund, die nur sehr leicht erhöhte Werte zeigen.
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Auch Personen mit links- und rechtsextremen Einstellungen weisen signifikant erhöhten Antisemitismus auf, wobei Rechte doppelt so auffällig wie Linke sind (16 zu acht Prozent). Interessant: In beiden Gruppen ist wie bei den Muslimen am ehesten die Ansicht von den Juden als heimlichen Weltherrschern verbreitet. Wenig überraschend, dass sich hier auch die größten Überschneidungen mit AfD-Anhängern und Verschwörungstheoretikern finden.
Die Forscher weisen darauf hin, dass die von ihnen gemessenen Werte niedriger sind als in anderen Studien zum Thema, bei denen regelmäßig etwa einem Fünftel der Gesellschaft antisemitische Einstellungen nachgewiesen werden. Erklärt wird das mit dem Studiendesign, das „mit besonders harten Aussagen auf die Vermessung eines extremistischen Kerns“ abzielte.