• Teilnehmer gedenken am 20. Februar 2020 der in Hanau getöteten Menschen bei einer Mahnwache am Brandenburger Tor und halten ein Anti-AfD-Schild hoch. 
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Pressestimmen nach Hanau: „Das Monster wacht auf, Deutschland macht uns wieder Angst”

Hanau –

Trauer, Wut, Entsetzen: Der mutmaßlich rassistische Anschlag in Hanau erschüttert Menschen in Deutschland und jenseits des Landes.

Die internationale und nationale Presse kommentiert entsprechend emotional. Viele machen der AfD Vorwürfe – und im Ausland hat man wieder Angst vor Deutschland.

Deutschland kommt nicht zur Ruhe

Und wieder ist es geschehen. Ein mutmaßlich rechtsextremer und rassistischer Täter verübt einen Anschlag. Dieses Mal im hessischen Hanau. Und wieder herrscht Entsetzen in einem Land, das nicht zur Ruhe kommt.

Die Betroffenheit ebenso wie die Wut über den Hass, der hinter dieser Tat steckt, ist enorm – das kommt auch in den Kommentaren der internationalen und nationalen Presse zum Ausdruck. Viele sehen den Staat in der Pflicht, aber ebenso die Gesellschaft. Und nahezu alle machen die AfD mitverantwortlich.

Pressestimmen aus England

Der Sperrgürtel zur Isolierung der AfD und ihresgleichen müsse aufrechterhalten werden, meint der Londoner „The Guardian”:

„Eine der Schlüsselfragen unserer Zeit besteht darin, inwieweit das Ausmaß der Wiederauferstehung des Nationalismus den Rechtsextremismus und tödlichen Rassenhass angefacht und legitimiert hat. Die Sache ist kompliziert. In gewisser Weise ähnlich wie (die rechtspopulistische britische Partei) Ukip hatte die AfD als eine vor allem euroskeptische Partei begonnen. Doch seit der Migrationskrise von 2015 hat sie sich in eine breitere Bewegung mit starken Elementen verwandelt, die bewusst Islamophobie und Rassismus schüren (…) Angela Merkels bevorstehender Abschied von der Bühne bedeutet, dass eine Periode politischer Turbulenzen unvermeidlich ist. Doch während die erfolgreichste Partei der Nachkriegsära in Deutschland über ihre künftige politische Richtung nachdenkt, sollten die Ereignisse von Hanau all jenen stark zu denken geben, die versuchen möchten, die äußerste Rechte zu zähmen, einzubinden oder zu imitieren. Der Sperrgürtel zur Isolierung der AfD und ihresgleichen muss aufrechterhalten werden.”

Pressestimmen aus Spanien

Auch die spanische Zeitung „El Mundo” kommentiert, dass Hassreden von Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit intolerante Einstellungen noch anheizen:

„Nach zwei Weltkriegen und den blutigen Erfahrungen des jüdischen Holocausts und des sowjetischen Gulags, die durch die zerstörerischsten utopischen Projekte des 20. Jahrhunderts – den Nationalsozialismus und den Kommunismus – hervorgerufen wurden, glaubte man, Europa sei endgültig gegen Kriegsgelüste geimpft. Die tiefe Wirtschaftskrise (…) und das daraus resultierende Misstrauen der Bürger gegen Gemeinschaftsinstitutionen, die sich als unfähig erwiesen haben, mit den Folgen umzugehen, haben die intoleranten Einstellungen wieder aufflammen lassen, die von den Hassreden des Nationalismus, von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit noch angeheizt werden. Die beiden Schießereien, bei denen am Mittwochabend in der deutschen Stadt Hanau elf Menschen ums Leben kamen, sind die tragische Folge des europaweiten Erwachens des Populismus und der extremen Rechten, die bei den europäischen Wählern immer mehr Unterstützung finden.”

Pressestimmen aus Italien

„Deutschland macht uns wieder Angst” – der Kommentator der italienischen Zeitung „La Repubblica” ist alarmiert:

„Das Monster wacht auf, und Deutschland macht uns wieder Angst. Es macht uns noch mehr Angst, denn es sieht uns ähnlich. Seine soziale Krankheit ist unsere (…) Die Anbindung an die Europäische Union, und damit an eine übernationale Struktur, die jede Bestrebung des wiedervereinigten Deutschlands in Richtung Großmacht abwenden sollte, schürt das Wiederaufleben eines aggressiven Nationalismus in einer zerrissenen Gesellschaft, die sich in ihrem Wohlergehen bedroht fühlt. Genau davor hatte Angela Merkel Angst, als sie das Zusammenwirken ihrer Partei, der CDU, und der Liberalen in Thüringen mit den anti-europäischen Fremdenhassern der Alternative für Deutschland als ‘unverzeihlich’ bezeichnete. Aber der von der Bundeskanzlerin erwirkte Widerruf der Kooperation hat Teile der deutschen Christdemokraten nicht daran gehindert, weiter der Versuchung zum Dialog mit der extremen Rechten zu erliegen, wie es bereits in Italien und Österreich geschehen ist. Deutschland steht heute bestürzt vor dem Massaker in den Shisha-Bars von Hanau. Und hoffen wir, dass es nicht zu spät ist.”

Hier lesen Sie mehr: Armin Laschet erklärt Rolle der AfD bei den elf Toten in Hanau.

Die diffuse Erzählung der Ultrarechten trägt Früchte – die italienische Zeitung Das Monster wacht auf „Corriere della Sera” stimmt in das Meinungsbild ein: 

„Das Massaker von Hanau ist ein weiterer rassistischer Terrorakt gegen ethnische oder religiöse Minderheiten, der in einem deutschen Bundesland verübt wird. Zu lange unterschätzt, zeigt das weite Spektrum der neonazistischen Ultrarechten so, dass diese eine diffuse Erzählung von Hass, Fremdenfeindlichkeit und Aufstachelung zur Gewalt geschaffen haben, die Früchte trägt und die Gruppen oder Einzelpersonen dazu bringt, blutige kriminelle Pläne wahr zu machen.”

Pressestimmen aus der Schweiz

Terroristen und Populisten dürfen nicht in einen Topf geworfen werden, schreibt dagegen die „Neue Zürcher Zeitung”: 

„Die wehrhafte Demokratie vermag allerdings zu unterscheiden zwischen rechter Demagogie im Stil eines Björn Höcke und Rechtsterrorismus wie in Hanau, Halle oder Kassel. Sie konnte das in den 70er-Jahren, als eine vernünftige Mehrheit Linksterrorismus nicht mit Linksextremismus gleichsetzte. So wurde die Grundlage gelegt, um die Täter der Rote-Armee-Fraktion gesellschaftlich zu isolieren und den Linksterrorismus zu vernichten. Vielleicht ist das die größte Tugend des Rechtsstaats: dass er Grenzen definiert, wo andere sie zum Zweck der Propaganda verwischen. Heute wird Deutschland ebenfalls klug genug sein, nicht alles aus einer verständlichen Empörung heraus in einen Topf zu werfen – Terroristen und Populisten.”

Der Zürcher „Tages-Anzeiger” sieht nun den Staat, vor allem aber die Gesellschaft gefordert: 

„Die Gefahr ist aber auch gewachsen, weil rassistische Hetze in der Gesellschaft heute verbreiteter und sichtbarer ist als vermutlich jemals zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik. Im Internet wird Einwanderern, vor allem Muslimen, tausendfach Deportation, Gewalt oder Tod angedroht. Bei Pegida in Dresden, bei den Neuen Rechten, bei den sogenannten Reichsbürgern und auch bei manchem Politiker der Alternative für Deutschland werden Woche für Woche rassistische Parolen laut, die nicht viel weniger aggressiv und menschenverachtend tönen als jene des rechten Terroristen von Hanau (…) Die potenziellen Terroristen zu fassen und die gewaltbereiten Szenen in den Griff zu bekommen, genügt deshalb nicht. Die Behörden müssen auch stärker gegen Hetze und Übergriffe im Internet und auf der Straße vorgehen, notfalls mit schärferen Gesetzen. Der Gefahr aber, dass der immer hemmungslosere Hass auf ‘Fremde’ schleichend das Gemeinwesen vergiftet, kann nur die deutsche Gesellschaft als Ganzes begegnen. Für einen Aufstand der weltoffenen Mehrheit ist es höchste Zeit.”

Pressestimmen aus Frankreich

Der giftige Glaube an die Vorherrschaft der Weißen breite sich aus, meint die französische Regionalzeitung „La Voix du Nord”: 

„Der ultra-rechte Terrorismus ist eine westliche Realität, die tief in den dunklen Tiefen unserer Gesellschaften verwurzelt ist. Der Anschlag in Hanau bei Frankfurt hat am Mittwochabend neun Tote unter den Gästen der Shisha-Bars gefordert, und der Mörder hat Nachrichten hinterlassen, die seine rassistischen Beweggründe bezeugen. Deutschland wird von diesem Phänomen getroffen, das bereits durch den Aufstieg der ultra-rechten Partei Alternative für Deutschland (AfD) und Pegida erschüttert ist, die jeden Montag in Dresden ihren Hass zum Ausdruck bringt. Bundeskanzlerin Angela Merkel räumt ein: ‘Dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft.’ Im Juni wurde ein einwanderungsfreundlicher CDU-Politiker ermordet. Im Oktober kamen bei einem Anschlag auf die Synagoge von Halle zwei Menschen ums Leben. Es wäre falsch, sich auf Deutschland zu konzentrieren. Der giftige Glaube an die Vorherrschaft der Weißen breitet sich aus.”

Pressestimmen aus den Niederlanden

Zumindest räume Deutschland ein, dass das rechtsextreme Monster nicht gebannt sei, schreibt die belgische Zeitung „De Standaard”:

„Dass die Regierung das Problem erkennt und benennt – Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, 75 Jahre nach Ende der NS-Diktatur sei der rechte Terror wieder da – ist ein Schritt nach vorn. Denn lange Zeit hat die deutsche Gesellschaft so getan, als ob sie das rechtsextreme Monster gebannt hätte. In den 1960er-Jahren wurde die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gegründet, schaffte jedoch nie den Durchbruch. Und während im übrigen Europa die rechtsextremen Parteien schnell wuchsen, schien Deutschland das letzte gallische Dorf zu sein, das standhielt. Die Deutschen schienen definitiv ihre Lektion gelernt zu haben. Oder steckten sie nur wie der Vogel Strauß den Kopf in den Sand? (…) Obwohl eine große Mehrheit der Deutschen radikal gegen rechtsextremes Gedankengut ist – ‘Wir sind mehr’ sagen sie, verbuchte die AfD im vergangenen Jahr in den neuen Bundesländern beachtliche Wahlerfolge. Mittlerweile wurde die Partei vollständig von Leuten übernommen, die ihre Sympathie für die Nazi-Partei kaum noch verbergen.”

Pressestimmen aus Deutschland

Die „Süddeutsche Zeitung” nimmt jeden Einzelnen in die Pflicht:

„Synagogen und Moscheen müssen besser bewacht werden, solange die Gefährdung so groß ist. Zur Prävention gehört auch, dass vielschüssige Handfeuerwaffen nicht mehr von Privatleuten, auch nicht von Sportschützen, zu Hause aufbewahrt werden dürfen. Das ist kein Generalverdacht gegen Schützen, sondern die nötige Konsequenz aus etlichen Mordtaten. Staatliches Handeln aber reicht nicht aus. Jeder und jede Einzelne steht in der Pflicht. Das fängt bei schlechten Witzen an und hört bei widerspruchslosem Hinnehmen von Alltagsrassismus nicht auf. Man muss die Dinge klar benennen, zum Beispiel: Wer die AfD wählt, stellt sich selbst in die rechte Ecke, weil er auch die Rechtsextremisten wählt, die es in dieser Partei gibt. Dieses Land und seine Gesellschaftsordnung, seine Menschen, egal ob aus Kaufbeuren, Edirne oder Krakau stammend, sind es wert, dass seine Bürger sie verteidigen – vor allem gegen jene, die mit Wort und manchmal mit Mord die Zeit zurückdrehen wollen.”

Diese Bluttaten kommen nicht aus dem “hellblauen Nichts”, urteilt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung”:

„Ein Land steht still. In Berlin, Hamburg und vielen anderen deutschen Städten bekunden Bürger und Politiker ihre Erschütterung über den Massenmord von Hanau und ihr Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer (…) Erinnerungen an Attentate und Amokläufe werden wach, die ebenfalls aus heiterem Himmel gekommen zu sein schienen, und Tod und Angst in den Alltag friedlicher Gesellschaften trugen. Doch die Bluttaten kommen nicht aus dem hellblauen Nichts, sondern aus der Hölle des Hasses, der Verblendung und des Wahns (…) Es gibt keinen Terrorismus ohne Wahn. Auch Fremdenhass, der am Ende einer Radikalisierungsleiter zur Pistole greift, gehört dazu. Alle, die dieser Leiter mit ‘Umvolkungs’-Phantasien und anderer Hetze Sprossen hinzufügen, tragen eine Mitverantwortung, wenn der Wahn zu einer Wahnsinnstat führt (…)”

Die Kommentatorin der „Zeit” wirft den Relativierern billige Tricks vor:

„Tatsächlich ist noch nichts Definitives über die mentale Verfasstheit des mutmaßlichen Täters bekannt. Niemand kann zu diesem Zeitpunkt eine Diagnose stellen. Seine Gedanken zur Erhabenheit seines eigenen Volkes und zur mangelnden ‘Leistungsfähigkeit’ anderer findet sich so oder in ähnlicher Form auch in den Rede- und Schriftbeiträgen der extremen Rechten. Diese Haltungen existieren nicht allein im Kopf eines mutmaßlich psychisch Kranken. Zu konstatieren, Tobias R. sei ein Verrückter gewesen, ist ein bequemes Schutzargument, hinter dem sich die Relativierer zu verstecken versuchen. Ein billiger Trick.”

Und auch die „Neue Osnabrücker Zeitung” befindet, die AfD sei Teil des Problems:

„Das Blutbad von Hanau war ein rechter Anschlag: widerwärtig, abstoßend und für Deutschland beschämend. Aber kam der Terrorakt überraschend? Auch 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz ist die braune Gefahr nicht gebannt. Der Attentäter von Hanau mordete in den Shisha-Bars zwar offenbar allein, aber unter deutschen Dächern wohnen viele Rechtsextremisten, die ihm im Stillen applaudieren. Der braune Sumpf findet sich aber auch im Bundestag. Solange die AfD sich nicht klar zu Neonazis abgrenzt und Höckes rechtem Flügel abschwört, ist sie Teil des Problems. Sogenannte Wutbürger sollten sich darüber im Klaren sein: Es gibt keine Entschuldigung dafür, geistige Brandstifter und Feinde von Demokratie und Anstand zu wählen. An diesem Tabu darf nicht gerüttelt werden.”

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