Begehrtes Land: Wer verfolgt welche Interessen in Afghanistan?
Der Abzug der Nato-Truppen und die erneute Herrschaft der Taliban nach 20 Jahren: Das entstandene Vakuum und die neuen Machtverhältnisse bringen die ganze Region in Aufruhr. Doch wer hat welche Interessen? Wer will was von Afghanistan? Welche alten Allianzen leben wieder auf? Wer fürchtet die Taliban am meisten? Ein MOPO-Überblick.
China: Handelsbeziehungen, aber Furcht vor Uiguren
76 Kilometer Grenze teilen sich China und Afghanistan. Die Haltung gegenüber den Taliban ist ambivalent. Zum einen befürchtet China, dass Uiguren Schlupflöcher im Nachbarland finden könnten. Viele Mitglieder der muslimischen Minderheit stecken unter kollektivem islamistischem Terrorismusverdacht in grenznahen Internierungslagern. Zum anderen ist das ölreiche Afghanistan wichtiger Handelspartner. Und China will seine Macht mit Beziehungen in der Region ausbauen.
Türkei: Flüchtlinge aufhalten, enge Beziehungen aufbauen
Die Entwicklungen in Afghanistan sind für die Türkei vor allem aus zwei Gründen wichtig: Zum einen steht Präsident Erdogan innenpolitisch unter Druck, hat auch aus diesem Grund angekündigt, nicht noch weitere Geflüchtete aufnehmen zu wollen, ließ gar eine Mauer und Stacheldraht an der Grenze zum Iran ziehen. Zum anderen ist die künftige Beziehung zu den Taliban geopolitisch wichtig. Als Schutzpatron aller muslimischen Staaten und als Wirtschaftspartner.
Russland: Enge Beziehungen, aber Kampf gegen IS
Ähnlich wie China und Türkei gab sich Russland neutral, als die Taliban die Macht wieder an sich rissen. 1989 von Taliban-Vorgängern nach zehn Jahren Interventionskrieg aus dem Land vertrieben, hatte Russland sich fortan rausgehalten. Dass die von Nato und USA eingesetzte Regierung nun nur wenige Wochen hielt, wurde mit einer gewissen Schadenfreude zur Kenntnis genommen. Das rohstoffreiche Afghanistan gilt als wichtiger künftiger Wirtschaftspartner. Unter einer Bedingung: Dass die Taliban den „Islamischen Staat“ (IS) im eigenen Land bekämpfen.
Iran: Verschiedene Lager, Angst vor Geflüchteten
Der Präsident Ebrahim Raisi freute sich offen über die „Niederlage“ des Erzfeindes USA in Afghanistan. Andererseits gab es während der ersten Taliban-Herrschaft in den 90ern große Spannungen zwischen dem mehrheitlich schiitischen Iran und den sunnitischen Taliban. Innerhalb der Regierung gibt es verschiedene Lager in der Taliban-Frage. Aktuell treibt den Iran vor allem das Thema Flüchtlinge um. Schon vor zwei Monaten begann man, „Pufferzonen“ zu errichten, in denen Afghanen vorerst unterkommen sollen.
Pakistan: Paschtunische Brüder, aber Angst vor Anschlägen
Die traditionell engsten Beziehungen in der Region pflegt Pakistan zum Nachbarland Afghanistan. Die Grenze wurde nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft recht willkürlich gezogen. Und das Volk der Paschtunen, zu dem auch die meisten Taliban gehören, bewegte sich jahrelang frei in der Grenzregion. Entsprechend gut waren auch die Beziehungen zu den Taliban. Aber: In der Hauptstadt Islamabad gibt es regelmäßig islamistische Anschläge, angeblich von Taliban gesteuert.
Usbekistan: Enge Bande, aber ebenfalls Angst vor Terror
Die ehemalige Sowjet-Republik Usbekistan hat, ähnlich wie Turkmenistan und Tadschikistan, enge Bande nach Afghanistan. Es gibt ethnische und historische Verknüpfungen sowie intensive Wirtschaftsbeziehungen. Allerdings: Die usbekische Regierung reagierte zurückhaltend auf die Machtübernahme der Taliban. Sie fürchtet, dass Afghanistan wieder zum Hort islamistischer Terroristen werden könnte und dass viele Afghanen in ihrem Land Schutz suchen, die sie nicht aufnehmen wollen.
Das könnte Sie auch interessieren: Afghanistan: Was die fatale Fehleinschätzung des Westens bedeutet
Saudi-Arabien: Besonders komplexe Beziehungen
Die Rolle Saudi-Arabiens in der Region ist komplex. Dereinst hatten sie die afghanischen Mudschahedin stets unterstützt. Auch die meisten der Al-Qaida-Terroristen, die für 9/11 verantwortlich waren, kamen aus dem Land. Außerdem Osama bin Laden. Aber 2001 zogen die USA die Saudis offiziell auf ihre Seite, zwangen sie, beim „War on Terror“ mitzumischen. Offiziell gab man sich nun zurückhaltend bei der Taliban-Machtübernahme. Andererseits ließ die Regierung zu, dass die Taliban jahrelang saudisches Geld einwarben. (km)