„Sims“-Spiel statt SIM-Karten: Russischer Geheimdienst blamiert sich
Ein angebliches Mordkomplott, eine Gruppe Nazis, ein großes Waffenarsenal inklusive Hitler-Bildern, eine Verwechslung von SIM-Karten mit dem „Sims“-Computerspiel und das alles vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs: Mit einer wirklich völlig verrückten Geschichte sorgt der russische Geheimdienst FSB nun für Aufsehen. Was steckt dahinter?
In der Ukraine leben lauter Nazis – mit Fake News wie diesen bombardiert Russlands Präsident Wladimir Putin sein Volk schon seit Jahren. Er nimmt die angebliche „Entnazifizierung“ des Nachbarlandes auch als Rechtfertigung für seinen Angriffskrieg. Um das Narrativ immer wieder zu untermauern, werden die Lügen kontinuierlich wiederholt – und neue konstruiert, so irre sie auch sein mögen.
Nun sorgt ein besonders abstruser Fall für Wirbel: Am Montag berichtete Putin bei einem Treffen mit Staatsanwälten von einem angeblich vereitelten Mordanschlag auf einen bekannten russischen TV-Journalisten. Den Namen nannte der Präsident nicht, laut russischen Medien soll es sich aber um Wladimir Solowjow (58) handeln. Solowjow gilt als unkritisch und kremlhörig, er verbreitet die aus Moskau kommende Propaganda ungefiltert im Staatsfernsehen.
„Sims“-Spiel statt SIM-Karten: Irrer Wirbel um angebliches Attentat auf Wladimir Solowjow
Wie der Bayerische Rundfunk (BR) unter Berufung auf russische Nachrichtenagenturen berichtet, soll Putin bei dem Treffen erzählt haben, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB eine „Terrorgruppe“ ausgehoben hat, die vom ukrainischen Geheimdienst eingesetzt wurde, den seinerseits der US-Geheimdienst CIA angeleitet haben soll.
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Das angebliche Ziel: ein Autobomben-Attentat auf Solowjow, um „Russland von innen heraus zu zerstören“. Ohne diese vorzulegen, behauptete Putin, er habe „unwiderlegbare Beweise“, aber natürlich würden die Betroffenen „dies jetzt leugnen“.
Die Gruppe soll, so hieß es weiter, aus sechs ukrainischen Neonazis bestanden haben. Diese hätten, so behauptete der FSB, acht Molotow-Cocktails, sechs Pistolen, eine abgesägte Schrotflinte, eine Granate, 1000 Schuss Munition, Drogen, gefälschte ukrainische Pässe, eine grüne Perücke, Hitler-Bilder, eine Hakenkreuz-Fahne und „nationalistische Literatur und Utensilien“ für ihren Plan zusammengesammelt. Der BBC-Journalist stellte Fotos der angeblichen Funde auf Twitter.
Für Verwirrung sorgte, dass unter den angeblich vom FSB bei den Neonazis beschlagnahmten Gegenständen auch drei Computerspiele der beliebten Avatar-Reihe „Die Sims“ waren.
Schnell machten Gerüchte die Runde, dass der FSB das Ganze nur inszeniert hatte – und dass die Drahtzieher „Die Sims“ mit SIM-Karten fürs Handy verwechselt haben müssen. „Ich glaube wirklich, dass hier ein dummer FSB-Beamter am Werk war, dem gesagt wird, er solle 3 SIMs besorgen“, twitterte etwa der Gründer der renommierten Enthüllungs- und Fact Checking-Plattform „Bellingcat“, Elliot Higgins.
„Unterschrift unleserlich“
Die These des fingierten Mordkomplotts untermauerten Aufnahmen aus einem von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA verbreiteten Video, das die FSB-Razzia in einer der Neonazi-Wohnungen zeigen soll. Darauf zu sehen: Ein Beamter, der durch ein Buch mit angeblichen Neonazi-Inschriften blättert.
Bizarr: Laut dem deutschen Osteuropa-Experten Sergej Sumlenny hat jemand die Inschrift mit „Unterschrift unleserlich“ unterzeichnet. „Ja, der FSB hat den Auftrag bekommen, das mit ,Unterschrift unleserlich‘ zu unterschreiben – und hat es auch getan!“, twitterte Sumlenny.
FSB schneidet bizarre Aufnahmen aus Video
Kiew bestritt, dass der ukrainische Geheimdienst an einem wie auch immer gearteten Mordkomplott mit Ziel Solowjow beteiligt sei. Das selbsterklärte Opfer sagte zur RIA, es habe gar nicht bemerkt, dass es von den Sicherheitsbehörden „beschattet“ worden sei, die es schlussendlich vor den ukrainischen Nazis gerettet hätten. Das spreche für deren Erfahrung, so Solowjow: „Natürlich bin ich bereit, mich öffentlich zu bedanken und mich mit den operativen Mitarbeitern zu treffen, die diese Operation durchgeführt haben. Sie sind zweifellos hochprofessionelle Menschen. Vielen Dank.“
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So ganz überzeugt scheint man in Russland von der Geschichte aber nicht mehr zu sein: Nachdem die Spekulationen über die mögliche Inszenierung des Ganzen sich im Netz wie ein Lauffeuer verbreiteten, schaute sich der FSB die Aufnahmen der angeblichen Razzia offenbar noch einmal an – und veröffentlichte auf seinem YouTube-Kanal eine überarbeitete Version des Videos. Wie das Portal „Watson“ berichtet, wurden die Szenen mit den „Sims“-Spielen und der Buch-Widmung herausgeschnitten. (mik)