Ukraine-Krise: Erdogan will Vermittler sein – Scholz geht auf Friedensmission
„Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, versprach Olaf Scholz (SPD) zuletzt bei seinem Kampf um das Bundeskanzleramt. Doch in den letzten Wochen glich der Hamburger eher der Kinderbuch-Figur Walter, die man auf Wimmelbildern suchen muss. Dabei steht die Bundesregierung vor einem Berg an Aufgaben, nicht zuletzt der Ukraine-Krise. Doch nun meldet der Kanzler sich auf dem internationalen Parkett zurück – und macht sich auf zu einer großen Friedensmission.
Sein erstes Ziel: Das Weiße Haus in Washington. Am Sonntag reiste Olaf Scholz zu seinem Antrittsbesuch in die USA. Bei dem Treffen mit US-Präsident Joe Biden dürfte der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine das Hauptthema sein. Der erste Schritt der Kanzler-Mission: beschwichtigen. Denn in den USA ist man von der Zurückhaltung Deutschlands bei der Ukraine-Krise irritiert. Es wurden bereits Zweifel laut, ob man im Ernstfall auf Deutschland zählen kann.
Washington: Kanzler Scholz besucht Biden im Weißen Haus
Die USA stehen mit ihrer Kritik an Deutschland und Scholz nicht alleine da. In den vergangenen Wochen warfen auch osteuropäische Nato-Partner dem Kanzler vor, Russland nicht entschieden genug entgegenzutreten. Doch nicht nur das: Sie und die Ukraine nehmen es ihm auch übel, dass er einer Waffenlieferung an die Ukraine eine deutliche Absage erteilt hat. Der republikanische US-Senator Jim Risch forderte etwa, dass Deutschland „seine Haltung überdenken“ solle.
Nach dem Besuch bei Biden geht die diplomatische Offensive von Scholz weiter: Eine Woche nach dem Besuch in Washington reist er erst nach Kiew und dann nach Moskau, um dort Präsident Wladimir Putin zu treffen. Zusätzlich ist für nächste Woche ein Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der baltischen Staaten in Berlin geplant. Und auch der französische Präsident Emmanuel Macron und der polnische Präsident Andrzej Duda sollen zu einem Gespräch über die Krise nach Berlin kommen.
Berlin: Merz kritisiert Scholz für zögerliche Außenpolitik
Der Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger würdigt die Friedensmission. „Ich finde es sehr gut, dass Bundeskanzler Scholz jetzt plötzlich zu einem diplomatischen Sprint ansetzt und innerhalb von zehn Tagen das Terrain durch persönliche Gespräche tatsächlich mal genau absteckt“, sagte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Er fügte aber auch hinzu: „Noch schöner wäre es gewesen, wenn wir das schon vor drei Wochen gewusst hätten. Dann wäre die Kritik vielleicht gar nicht in dem Maße laut geworden.“
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CDU-Chef Friedrich Merz ist weniger friedlich gestimmt. Er kritisiert den Kanzler für dessen zögerliche Außenpolitik. „Diese Reise kommt zu spät. Sie wäre schon vor Wochen notwendig gewesen und dann mit einer klaren Botschaft der wichtigsten europäischen Staaten im Gepäck“, sagte Merz der „Bild am Sonntag“. „Jetzt wirkt die Reise wie der Besuch eines Bittstellers, der aus einer selbst verschuldeten Situation nicht mehr herauskommt und deshalb den großen Bruder in Washington um Hilfe bitten muss.“
Ukraine-Konflikt: Erdogan bietet sich als Vermittler an
Russland hat nach jüngsten Angaben 110.000 Soldaten an die ukrainische Grenze verlegt. Das seien, laut US-Geheimdiensten, 70 Prozent der benötigten Truppen für einen groß angelegten Einmarsch in die Ukraine. In den USA rechnet man bereits aus, was ein Krieg für die Ukraine und Russland bedeuten würde. Russland könnte die ukrainische Hauptstadt Kiew demnach innerhalb von 48 Stunden einnehmen und den Präsidenten Wolodymyr Selenski stürzen. In der ukrainischen Zivilbevölkerung rechne man mit 25.000 bis 50.000 Toten, aufseiten des ukrainischen Militärs mit 5000 bis 25.000 Opfern, berichtet die „New York Times“. Beim russischen Militär gehe man von 3000 bis 10.000 Toten aus.
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Währenddessen hat sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in den Ukraine-Konflikt eingemischt – und sich als Vermittler angeboten. Ankara ist mit beiden Konfliktparteien eng verbunden: Von Russland kauft man Gas, der Ukraine verkauft man Kampfdrohnen. Zusätzlich ist die Türkei bei Touristen aus beiden Ländern extrem beliebt.
Erdogan besuchte Kiew und nutze seinen Auftritt dort direkt für eine Verbal-Attacke gen Westen: Dieser sei „bisher leider daran gescheitert, so etwas wie einen Beitrag zur Lösung des Konflikts beizusteuern“, sagte der türkische Präsident. Und holte ebenfalls gegen Scholz aus: „Früher kam Merkel an und hielt den Schlüssel zur Lösung des Problems in der Hand. So eine Führungsfigur gibt es im Moment nicht“, sagte er einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vom Freitag zufolge.