Vorstoß nach Russland: Ukraine hat jetzt freie Hand bei den deutschen Waffen
Berlin ist einer der wichtigsten Unterstützer Kiews in seinem Abwehrkampf gegen Russland. Wie wird der Angriff ukrainischer Truppen auf das russische Gebiet in der innenpolitischen Debatte bewertet?
In ihrem Verteidigungskampf gegen den russischen Angriffskrieg hat die Ukraine vergangene Woche erstmals Truppen auf russisches Gebiet vorrücken lassen. Der Überraschungsangriff auf die Region Kursk, der weiter andauert, lässt die Führung in Moskau schwach erscheinen. Er birgt aber auch die Gefahr einer Eskalation. Zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine gehört Deutschland. Fragen und Antworten dazu, wie in Deutschland auf den Vorstoß Kiews geblickt wird.
Wie bewerten deutsche Politiker das Vorrücken auf russisches Territorium?
Der Kanzler und seine Minister haben sich bislang mit Kommentaren zurückgehalten. In Berlin machte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner deutlich, die ukrainische Offensive sei eine „sehr geheim und ohne Rückkoppelung vorbereitete Operation“, also offenkundig ohne Abstimmung erfolgt.
Dass die Ukraine das Völkerrecht auf ihrer Seite habe, machte SPD-Chef Lars Klingbeil im ARD-Sommerinterview deutlich: „Natürlich hat ein Staat, der angegriffen wird, das Recht, sich zu verteidigen. Das beinhaltet eben auch, dass man das Recht hat, völkerrechtlich, solange man sich an alle Regeln hält, auf russisches Gebiet vorzugehen“.
Werden bei dem Vorstoß nach Kursk deutsche Waffen eingesetzt?
Berichte darüber sind bisher unbestätigt geblieben. Auf die militärisch wichtige Frage, ob die Ukraine mit den aus Deutschland überlassenen Waffen auch russische Ziele jenseits der Grenze und Aufmarschgebiete angreifen kann, gab es lange keine konkrete Antwort. Am 31. Mai verkündete Regierungssprecher Steffen Hebestreit einen Kurswechsel. Russland habe insbesondere im Raum Charkiw von Stellungen aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus Angriffe vorbereitet, koordiniert und ausgeführt.
Das könnte Sie auch interessieren: Bürgergeld: Hunderttausende zahlen bei Wohnkosten drauf
„Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren“, schrieb Hebestreit damals. Und: „Es geht um die Befreiung des ukrainischen Staatsgebiets und wir haben mit der Ukraine vereinbart, dass die von uns gelieferten Waffen dazu völkerrechtskonform eingesetzt werden.“
Kann die Ukraine das aus Deutschland gelieferte Material wie Panzer und Haubitzen also auf russischem Territorium einsetzen?
Die Bundesregierung versieht den Export von Kriegswaffen üblicherweise mit einer sogenannten Endverbleibsklausel, die eine Weitergabe untersagt oder Zustimmung Deutschlands zur Voraussetzung macht. Eine Einsatzbeschränkung ist damit üblicherweise nicht verbunden, wobei politische Absprachen über das Vertragswerk hinaus getroffen werden können.
Für die aus Beständen der Bundeswehr überlassenen Waffen machte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Montag deutlich, wer nun die Handlungshoheit hat: „Das sind ukrainische Waffen“, sagte er. Er betonte gleichzeitig, dass nur das Völkerrecht die Grenzen der Verwendung definiere. Dieses erlaube es einem Staat, der sich verteidigt, sich auch auf dem Gebiet des Angreifers zu wehren. Der Sprecher sagte weiter: „Es gibt keine darüber hinausgehenden Auflagen für die Nutzung von Waffen, zumindest was Abgaben aus dem Bestand der Bundeswehr angeht, die dort erteilt worden sind und die zu beachten wären. Da gibt es keinerlei Hindernisse und da ist die Ukraine frei in der Wahl ihrer Möglichkeiten.“
Welche Waffen hat Deutschland geliefert?
Deutschland konzentrierte sich zuletzt auf Luftverteidigungssysteme und die Lieferung von Artilleriemunition. Es wurden aber auch Waffen geliefert, die die Fähigkeit zur Offensive stärken. Auf der Liste der Bundesregierung stehen 58 Kampfpanzer Leopard 1 und 18 Leopard 2, 120 Schützenpanzer Marder sowie Raketenwerfer, Minenräumpanzer und Brückenlegepanzer.
Die Ausrüstung der Ukraine durch Deutschland spielt in ostdeutschen Wahlkämpfen eine Rolle – aber können die Länder auf den Kurs der Bundesregierung überhaupt Einfluss nehmen?
Umfragen zeigen, dass vor allem in den ostdeutschen Bundesländern die Ablehnung gegen die Waffenhilfe für die Ukraine insgesamt größer ist als im Westen. Dies hat vor den Landtagswahlen und wegen der Zustimmung für AfD und BSW eine besondere Bedeutung und geht bis in die Regierungsspitzen der Länder.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) forderte die Bundesregierung im „Tagesspiegel“ auf, sich stärker für Frieden zwischen Russland und der Ukraine einzusetzen und eine Vermittlerrolle einzunehmen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will – auch mit Blick auf den Haushalt – eine Kürzung der Waffenhilfe an die Ukraine. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) forderte eine europäische Friedensordnung unter Einbeziehung Russlands und einen „Nichtangriffspakt“ aller Teilnehmerstaaten.
Das könnte Sie auch interessieren: „Sicherheitslage wesentlich verschärft“: Warnung vor Anschlägen von Islamisten
Die Forderungen haben keine unmittelbaren Folgen, sie können aber Zeichen dafür sein, dass die Unterstützung für die Ukraine erodiert und kritische Stimmen lauter werden. Dies ist absehbar auch dann der Fall, falls der Vorstoß der Ukraine auf russisches Gebiet zurückgeschlagen werden sollte. (dpa/mp)