Atomraketen-Tests in Russland: Wie ernst ist die Gefahr eines Atomkrieges wirklich?
Wladimir Putin lässt mal wieder die atomaren Muskeln spielen: In Kaliningrad, mitten in Europa, hat der russische Kriegsherr nun atomwaffenfähige Iskander-Raketen testen lassen. Im russischen Staatsfernsehen fabuliert man währenddessen über die atomare Zerstörung westlicher Hauptstädte. Wie erst meint es Putin?
Für den russischen Journalisten und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow sollte man Putins wiederholte Drohungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. „Ich würde die Möglichkeit nicht ausschließen, dass Atomwaffen eingesetzt werden“, erklärte er nun. Anlass könnten die westlichen Waffenlieferungen sein. Ein Atomschlag wäre allerdings nicht das Ende des Kriegs, wie es die russische Propaganda nahe lege – „sondern das Ende der Menschheit“, so der Putin-Gegner.
Angstmacherei im russischen Staatsfernsehen
Im staatlich kontrollierten Fernsehen wird seit längerem über atomare Schläge phantasiert. So drohte der populäre TV-Moderator Dmitri Kiseljow jüngst Großbritannien zur besten Sendezeit mit der atomaren Auslöschung. Das Land sei „so klein“, da würde eine einzige russische Rakete genügen.
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Und auch der Kreml beteiligt sich an der Angstmacherei. Er veröffentlichte kürzlich Zahlen, wie lange russische Raketen in europäische Hauptstädte brauchen würden: 106 Sekunden bis Berlin, 200 Sekunden bis Paris und 202 Sekunden bis London. Kurios: Über die mutmaßlichen Folgen eines solchen Angriffs – eine atomare Antwort der NATO – wird in Russland praktisch nicht gesprochen.
Russland hat mindestens 1588 atomare Sprengköpfe
Theoretisch wäre Russland in der Lage, die ganze Welt auszulöschen. Das Land verfügt nach Expertenschätzungen über mindestens 1588 Atomsprengköpfe. Davon 812 auf landgestützten Raketen, 576 auf U-Booten und 200 auf Bombern. Der Rest wird gelagert.
Welche Grundsätze in Russland für den Einsatz von Atomwaffen gelten, ist unklar. Einige Experten und Militärs, vor allem in Washington, behaupten, dass Moskau die sowjetische Doktrin, die ultimative Waffe nicht als erster einzusetzen, aufgegeben habe. „Eskalation zur Deeskalation“ sei nun die Maßgabe. Putin und Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatten erklärt, Atomwaffen würden nur im Fall einer „existenziellen Bedrohung“ Russlands eingesetzt. Wie diese Bedrohung definiert werden würde, ist allerdings offen.
Einsatz in der Ukraine „militärisch sinnlos“
Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München hält die Hürde für den Einsatz solcher Waffen durch Russland für extrem hoch – selbst im Fall einer direkten Konfrontation mit der NATO. „Sollte Putin nicht seinen Verstand verloren haben – und danach sieht es nicht aus –, gehe ich in der aktuellen Situation nicht davon aus, dass er Atomwaffen einsetzen wird“, erklärte der Sicherheitsexperte. Auch einen Einsatz in der Ukraine hielte er für „militärisch sinnlos“. Es gebe gar keine „lohnenden Ziele“ wie große Panzerverbände.
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Zudem wären die politischen Kosten für Russland extrem hoch. Verbündete wie Indien oder China würden sich schnell abwenden. Auch sie haben kein Interesse an einer Welt, in der Atomwaffen leichtfertig eigesetzt werden können.
„Was dann geschieht, dafür gibt es kein Drehbuch“
Aber sollte es Putin dennoch so weit treiben? „Was dann geschieht, dafür gibt es kein Drehbuch“, so Sauer. „Zum Glück waren wir noch nie an einem solchen Punkt.“ Im Fall der Fälle käme es dann auf die handelnden Personen an. Also vor allem auf den US-Präsidenten Joe Biden.