Zoff um Kindergrundsicherung: Löst Geld das Armutsproblem wirklich?
Der Streit um die sogenannte Kindergrundsicherung und ihre Finanzierung währt schon seit Monaten. Und lähmt die Ampelregierung. Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist lediglich bereit, zwei Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, nicht die geforderten 3,5 Milliarden. In der vergangenen Woche führte das dazu, dass die grüne Familienministerin Lisa Paus im Kabinett ein Veto gegen Lindners Wachstumschancengesetz einlegte. Nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir. Seither wird gestritten wie bei den Kesselflickern. Am Wochenende gossen Liberale Öl ins Feuer.
Christian Lindner meldete erneut Zweifel an Paus’ Konzept an. Von Kinderarmut seien vor allem Familien betroffen, die seit 2015 nach Deutschland eingewandert sind. „Hilft man ihnen am besten dadurch, dass man den Eltern mehr Geld aufs Konto überweist?“, fragt sich Lindner. „Oder ist nicht vielleicht mindestens diskussionswürdig, in die Sprachförderung, Integration, Beschäftigungsfähigkeit der Eltern zu investieren und die Kitas und Schulen für die Kinder so auszustatten, dass sie vielleicht das aufholen können, was die Eltern nicht leisten können?“
FDP glaubt, der bessere Maßnahme sei die schnelle Integration von Migranten
Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verweist auf die hohe Zahl armutsgefährdeter Kinder mit Migrationshintergrund. „Diesen Eltern einfach nur mehr Geld zu überweisen, verbessert nicht die Chancen der Kinder“, sagt er der Nachrichtenagentur AFP. Besser sei es, in den „Abbau von Sprachdefiziten und die Qualifizierung der Eltern für den Arbeitsmarkt“ zu investieren.
Tatsache ist, dass die Zahl der armutsgefährdeten Minderjährigen unter 18 Jahren von 2021 auf 2022 von 16,4 auf 14,8 Prozent zurückgegangen ist und die Zahl der Kinder, die von Hartz IV beziehungsweise von Bürgergeld leben, seit 2015 konstant bei circa zwei Millionen liegt – und das alles, obwohl in den vergangenen acht Jahren mehr als 500.000 Kinder aus den Kriegsgebieten Syriens und der Ukraine sowie aus Afghanistan und dem Irak nach Deutschland gekommen sind.
Der Anteil der Migranten-Kinder unter den Armen ist also gewachsen. Die Logik der FDP lautet deshalb: Tun wir mehr für die Integration Zugewanderter in den Arbeitsmarkt, dann tun wir auch was für die Kinder aus Zuwandererfamilien.
Linke: „Kinderarmut ist nicht importiert, sondern ein strukturelles Problem“
Widerspruch kommt von der Linken: Nach Ansicht von Parteichefin Janine Wissler sei Kinderarmut keineswegs importiert, „sondern Kinderarmut ist ein strukturelles Problem“. Betroffen seien vor allem Alleinerziehende und dies unabhängig von der Nationalität. Gründe seien niedrige Löhne, Teilzeitarbeit und niedrige Sozialleistungen, so die Linken-Politikerin. Wissler fordert von der Ampel-Koalition ein Ende des Streits über die Kindergrundsicherung und mehr Geld.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW), nannte es gegenüber dem MDR schädlich, geplante Entlastungen für Unternehmen und die Kindergrundsicherung gegeneinander auszuspielen. Fratzscher sagte, es würde 20 bis 24 Milliarden Euro kosten, Kinderarmut in Deutschland zu eliminieren. Aber auch fünf Milliarden wären ein großer Schritt. Damit könne man eine halbe Million Kinder im Jahr aus der Armut ziehen. Die besten Investitionen, die ein Staat machen könne, seien die in seine Menschen, so Fratzscher.
Die Position des DGB lautet: Die Kindergrundsicherung muss her, und zwar so schnell wie möglich. 12,5 Milliarden Euro jährlich hatte Familienministerin Paus dafür ursprünglich gefordert. Und der DGB sagt, 12,5 Milliarden sei auch die „Mindestsumme, von der wir sagen: Damit kann man eine Basis dafür schaffen, dass Kinder und Jugendliche zu beruflichen und schulischen Erfolgen kommen“, so DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.
Bundeselternrat: Folgeschäden von Kindermut sind sehr viel teurer
Schützenhilfe bekommt Bundesfamilienministerin Paus auch vom Bundeselternrat. Die Bekämpfung von Kinderarmut und die Entlastung der Familien müsse oberstes Ziel sein, weil es um die Zukunft der Gesellschaft gehe. „Dies muss endlich auch bei Herrn Lindner ankommen“, sagte Christiane Gotte, die Vorsitzende. „Wenn Kinder und Familien weiter Schaden nehmen, so ist dies schlussendlich unser aller Schaden.“
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Wird sich die Koalition zusammenraufen? Ist der Streit bald beigelegt? Die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann ist überzeugt, dass das Kabinett bei seiner Klausur im brandenburgischen Meseberg Ende August eine Einigung findet – sowohl über die Kindergrundsicherung als auch das Wachstumschancengesetz.
Kindergrundsicherung – was ist das eigentlich?
Die neue Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, diverse Familienleistungen (Kindergeld, Kinderzuschlag, Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets etc.) zu vereinigen und dabei einfacher und automatisierter an die Berechtigten auszuzahlen. Die Kindergrundsicherung soll 2025 eingeführt werden und soll diese Ziele erreichen: vor Armut schützen und bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen.