Prozessbeginn: Mutmaßlicher Gleis-Schubser von Frankfurt entschuldigt sich
Frankfurt am Main –
Es ist eine Tat, die Entsetzen auslöst und unter der die Betroffenen bis heute leiden. Im Jahr 2019 stößt ein Mann zwei Menschen vor einen einfahrenden ICE ins Gleis, eine Mutter und ihren Sohn. Die Frau kommt knapp mit dem Leben davon, ihr achtjähriges Kind wird tödlich verletzt. Am Mittwoch hat in Frankfurt der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter begonnen.
Als Beschuldigter vor Gericht steht ein 41-Jähriger, der nach einem vorläufigen Gutachten wegen einer psychischen Erkrankung nicht schuldfähig ist. Die Staatsanwaltschaft hat daher beantragt, ihn dauerhaft in der Psychiatrie unterzubringen.
Frankfurt am Main: Vater des toten Jungen verfolgt regungslos Zeugenaussage
Die Mutter des getöteten Jungen kann wegen ihrer schlechten psychischen Verfassung nicht am Verfahren teilnehmen, berichtet der Anwalt der Familie. Ihr Mann ist in den Gerichtssaal gekommen, „um dem Mann in die Augen zu sehen, der seinen Sohn getötet hat“, wie der Anwalt sagt. Äußerlich regungslos verfolgt der Vater, wie eine Zeugin die Tat schildert, die im Juli vergangene Jahres in ganz Deutschland Entsetzen hervorrief.
Die 79-jährige Zeugin habe am 29. Juli 2019 nach München fahren wollen, um ihre Enkel abzuholen, berichtet sie. Der Zug habe an dem Vormittag zehn Minuten Verspätung gehabt. Ein Mann habe hinter einem Pfeiler gestanden, er sei ihr aufgefallen, weil er kein Gepäck dabei hatte. Plötzlich habe er ganz in ihrer Nähe eine Frau und einen Jungen von hinten auf das Gleis vor den Zug gestoßen – mit viel Gewalt.
Erinnerung an Tat: Zeuge bricht in Tränen aus
Wie genau er das getan habe, fragt der Vorsitzende Richter. Die Frau schiebt ihr Hände mit einem kraftvollen Ruck nach vorne. Danach habe sie „die beiden in der Luft fliegen“ sehen. Zahlreiche Fahrgäste wurden Zeugen, ein junger Mann bricht am Mittwoch im Zeugenstand bei der Erinnerung an die Bilder von Gleis 7 in Tränen aus.
Der 41-Jährige, der nun als Beschuldigter vor Gericht steht, rannte den Schilderungen zufolge anschließend davon und wurde außerhalb des Bahnhofes festgenommen. Zunächst kam er in Haft, dann in eine psychiatrische Einrichtung. Den bisherigen Einschätzungen zufolge leidet er an Schizophrenie.
Der aus Eritrea stammende Mann lebte zuvor seit 2006 unauffällig in der Schweiz, es handelt sich um einen dreifachen Familienvater. Im Februar 2019 begab er sich in psychiatrische Behandlung, er hörte Stimmen, fühlte sich bedroht.
Mutter und Kind vor Zug gestoßen: Mutmaßlicher Täter hat keine Erinnerung
Doch die Behandlung war zu teuer, wie er Psychiatern in Deutschland berichtete, er ging nicht mehr hin. Mehrere Tage vor der Tat fuhr er nach Frankfurt, um den Stimmen zu entkommen und irrte umher. Zuvor hatte er seine Frau und eine Nachbarin in der Schweiz bedroht.
An die Tat habe er keine Erinnerung, sagte er in Gesprächen mit Psychiatern, deren Protokolle am Mittwoch verlesen werden. Seinen Anwalt lässt der Mann am Mittwoch erklären: „Es tut mir unendlich leid.“ Dies gelte ganz besonders für die Familie des zu Tode gekommenen Jungen.
Anwalt der Familie: „Es gibt keine Entschuldigung“
Die Familie nimmt diese Entschuldigung nicht an. „Es gibt keine Entschuldigung für das, was getan wurde“, erklärt deren Anwalt. Er fügt zwei Forderungen an: Es müsse eine Diskussion über den Umgang mit psychisch Kranken geben, sie müssten behandelt werden, bevor sie schwere Straftaten begingen. Zudem müssten Bahnsteige in Deutschland endlich besser gesichert werden.
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Bundesregierung und Bahn hätten eine Arbeitsgruppe gegründet und Lösungen angekündigt. „Aus unserer Sicht wird es jetzt Zeit, dass hier wirklich mal Ergebnisse vorgelegt werden“, sagt der Anwalt. Es habe sich nicht um die erste derartige Tat gehandelt und jederzeit könne sich eine erneute ereignen. (dpa)