• Schrecklicher Anblick: In Schutzkleidung wird ein Covid-19-Toter auf einem vorbereiten Gräberfeld beerdigt.
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Tausende Tote, Kontrollverlust: Wo die Corona-Lage immer dramatischer wird

Über 2800 Corona-Tote an einem Tag: Brasilien erlebt einen neuen, erschreckenden Höhepunkt der Pandemie – und die Lage spitzt sich immer weiter zu. Lange unternahm der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro nichts, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Doch jetzt gerät er unter Druck.

Schon mehr als 280.000 Menschen sind in dem 210-Millionen-Einwohner-Land an dem Virus gestorben, über 11,6 Millionen Menschen haben sich infiziert. Brasilien ist eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder weltweit.

Vor allem in der Amazonas-Metropole Manaus war die Lage zu Beginn des Jahres dramatisch. Dort grassiert die besonders ansteckende Variante P.1. Es gab keinen Sauerstoff mehr, um Covid-19-Patienten zu beatmen. Der „Stern“-Korrespondent Jan Christoph Wiechmann erlebte im Februar „Beerdigungen im Akkord“.

Präsident Bolsonaro will aus wirtschaftlichen Gründen keine Einschränkungen

Trotzdem lehnte die Stadtregierung einen Lockdown ab. Und ist damit ganz auf einer Linie mit dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro, der aus wirtschaftlichen Gründen keine Einschränkungen des öffentlichen Lebens will. „Schluss mit dem Gejammere“, soll er Medienberichten zufolge Anfang März bei der Einweihung eines Teilstücks einer Eisenbahnlinie gesagt haben. Die Arbeiter lobte er: „Ihr seid nicht zu Hause geblieben. Ihr seid nicht feige gewesen.“

Bolsonaro verharmloste das Virus seit Beginn der Pandemie, stellte sich öffentlich gegen eine Maskenpflicht und zog den Sinn von Impfungen grundsätzlich in Zweifel. Diejenigen, die die Regierung zum Kauf von Impfstoffen aufforderten, nannte er „Idioten“.

Diese Botschaften wirken sich auf das Verhalten vieler Brasilianer aus: Sie feierten ausgelassen Weihnachten und Silvester und tanzten zum Karneval zu Tausenden auf geheimen Partys. Auch Fotos von vollen Ständen erschrecken. Gerade  ärmere Bevölkerungsteile haben zudem kaum eine Chance, sich zu isolieren. Die Folge: Laut dem „Spiegel“ gab es im Januar und Februar rund 71 Prozent mehr Tote als noch im November und Dezember.

Brasilien: Gesundheitssystem bricht zusammen

Mittlerweile bricht das Gesundheitssystem auch im infrastrukturell besser aufgestellten Süden des Landes zusammen. In 24 von 26 Bundesstaaten sind die Intensivstationen zu mindestens 80 Prozent ausgelastet. Die Forschungseinrichtung „Fundação Oswaldo Cruz“ spricht von dem „größten Gesundheits- und Krankenhauskollaps der Geschichte“. In vielen Städten warten hunderte Patienten auf ein Bett.

Dem Nachrichtenportal „G1“ zufolge registrierte der Bundesstaat São Paulo in den ersten beiden Märzwochen alle fünf Minuten einen neuen Covid-19-Todesfall. Einige Bundesstaaten haben mit Lockdowns und zeitweisen Ausgangssperren reagiert.

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Und auch Bolsonaro gerät unter Druck: Der beliebte brasilianische Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva aus der Arbeiterpartei „Partido dos Trabalhadores“ ist zurück in der Öffentlichkeit. An der Präsidentschaftswahl 2018 konnte er nicht teilnehmen – er war wegen Korruption und Geldwäsche zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Sonst hätte er vielleicht gewonnen, Umfragen zufolge lag er vor Bolsonaro. Nun hat der oberste Gerichtshof die Urteile gegen ihn aufgehoben.

Dagegen wird Berufung eingelegt, doch solange Lula zurück auf der politischen Bühne ist, kritisiert er Bolsonaro scharf – und drängt darauf, das Mitte Januar gestartete Impfprogramm zu verstärken: „Alles, was die Menschen wollen, ist ein Impfstoff, um dieses Monster namens Coronavirus loszuwerden“, sagte er. „Der Präsident muss aufhören, ignorant zu sein. Er muss lernen, die Gefühle des brasilianischen Volkes zu respektieren und Impfstoff für alle sicherzustellen.“ Lula ließ sich selbst am Samstag öffentlichkeitswirksam impfen. Aktuell sind rund fünf Prozent der Bevölkerung geimpft.

„Brasilien gießt Öl ins Feuer dieser Pandemie“

Angesichts des politischen Konkurrenten scheint Bolsonaro seinen Ton etwas gemildert zu haben. Am Montag kündigte der damalige Gesundheitsminister Eduardo Pazuello zudem den Kauf von 100 Millionen Biontech/Pfizer-Impfdosen an – noch im Oktober hatte Bolsonaro dessen Versuch, Impfstoffe  zu besorgen, gestoppt. Außerdem tauschte Boslonaro den Gesundheitsminister zum dritten Mal in der Pandemie aus.

Der neue Minister, Marcelo Queiroga, ist im Gegensatz zum General Pazuello Mediziner. Leicht wird seine Aufgabe nicht. Schnelle Impfungen seien die einzige Möglichkeit, das Virus zu stoppen, sagte Lucas Ferrante vom Nationalen Institut für Amazonas-Forschung in Manaus dem „Spiegel“. In der Metropole könne sich das Virus weiterhin „völlig ungestört ausbreiten und verändern.”

Ferrante befürchtet, dass durch Kreuzungen unterschiedlicher Mutationen ein „impfresistenter Supervirus“ entsteht. „Unser Staatschef gefährdet nicht nur seine Landsleute, sondern alle Menschen weltweit“, so der Biologe. „Brasilien gießt Öl ins Feuer dieser Pandemie.“

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