Truppenabzug aus Afghanistan beginnt: Angriffe, Gefechte und zahlreiche Tote
Kabul –
Nach dem Beginn des Abzugs internationaler Truppen aus Afghanistan kommt es dort immer wieder zu Zwischenfällen und Gefechten, bei denen bereits zahlreiche Zivilisten und Soldaten gestorben sind. Die Gewalt geht von den militant-islamistischen Taliban aus. Soldaten und Zivilisten fürchten einen Bürgerkrieg.
Der offizielle Abzug der internationalen Truppen nach einem fast 20 Jahre langen Einsatz in Afghanistan hat am Samstag begonnen. Unter den 10.000 Nato-Soldaten der Ausbildungsmission „Resolute Support“ befanden sich 2500 Soldaten aus den USA und rund 1100 aus Deutschland. Bis spätestens September sollen sie alle das Land verlassen haben. Faktisch hatte der Abzug nach Angaben der Nato und der Bundeswehr jedoch bereits vor dem ersten Mai begonnen. Schon seit Wochen wird Material aus dem Land gebracht. Von der Nato hieß es, da die Sicherheit der Truppen höchste Priorität habe, würden keine Details zu der Operation mitgeteilt, etwa Truppenzahlen oder Zeitpläne für einzelne Staaten. Zuletzt waren 36 Nato-Staaten und Partnerländer an dem Einsatz beteiligt.
Truppenabzug aus Afghanistan: Deutsche Soldaten in Gefahr
Militärstrategen rechnen mit Gefahren durch mögliche Angriffe der militant-islamistischen Taliban auch auf Soldaten des Bündnisses. Die US-Armee hält schwere Waffen bereit. Für Deutschland soll das Kommando Spezialkräfte (KSK) den Abzug absichern. Jegliche Taliban-Angriffe während des Rückzugs wolle man mit einer „entschiedenen Reaktion“ beantworten, hieß es von der Nato.
Die Taliban erklärten am Samstag, sie hielten sich eine Reaktion auf den verspäteten Abzug offen. Da der Abzug der ausländischer Streitkräfte nicht wie im USA-Taliban-Abkommen zum 1. Mai abgeschlossen worden sei, habe dieser „Verstoß“ ihnen „im Prinzip den Weg geebnet, jegliche Gegenmaßnahme“ gegen die internationalen Truppen zu ergreifen, die man für angemessen halte, schrieb der Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid am Samstag auf Twitter. Man warte auf eine Entscheidung der Taliban-Führung diesbezüglich.
Afghanische Soldaten sterben bei Bombenangriff auf Moschee
Seit Freitag gab es bereits mehrere gewaltsame Angriffe, denen Zivilisten und Soldaten zum Opfer fielen. So gab es in der Nacht zu Samstag schwere Gefechte im Bezirk Schindand der Provinz Herat. In der zentralen Provinz Gasni überrannten die Taliban einen Kontrollposten und eine Basis der Sicherheitskräfte. Verlässliche Angaben zu Opfern gab es zunächst nicht.
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Bei der Explosion einer Bombe in einer Moschee am Luftwaffenstützpunkt Bagram wurden zudem mindestens zwei Soldaten getötet und mindestens 18 weitere verletzt. Laut dem stellvertretenden Polizeichef der Provinz Parwan war eine Bombe in der Decke einer Moschee platziert worden und in der Nacht zu Samstag detoniert, als die Soldaten beteten. Internationale Truppen befinden sich rund 500 Meter in einer separaten, hoch geschützten Basis.Im der Provinz Nangarhar starben eine Frau und zwei Kinder, als ihr Haus von einer Mörsergranate getroffen wurde.
Mindestens 24 Zivilisten sterben bei massivem Autobombenangriff auf Gästehaus
Bei einem massiven Autobombenangriff am Freitagabend bei einem Gästehaus in der Provinz Logar wurden mindestens 24 Menschen getötet und weitere 110, darunter Frauen und Kinder, verletzt. Der Anschlag ereignete sich am Freitagabend (Ortszeit) in einem Wohnviertel der Stadt und in der Nähe eines Krankenhauses, das ebenfalls zerstört wurde. Alle Opfer seien Zivilisten, der Großteil von ihnen Schüler, die für ein Eintrittsexamen für die Universität in die Provinzhauptstadt gekommen waren, sagten lokale Behördenvertreter. Bisher bekannte sich niemand zu dem Angriff – der afghanische Präsident Aschraf Ghani machte aber die Taliban dafür verantwortlich.
Schließlich kamen am späten Samstagabend bei einem großen Feuer im Norden der Hauptstadt Kabul mindestens sieben Menschen ums Leben. Mindestens 14 Menschen seien verletzt worden, teilte das Innenministerium am Sonntag mit. Ein Tanklaster war aus noch unbekannter Ursache in Brand geraten. Das Feuer habe dann schnell auf Dutzende weitere Tanklaster und Fahrzeuge übergegriffen, hieß es von der Behörde.
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Der Vorfall ereignete sich in der Nähe eines der Einfahrtskontrollpunkte in die Hauptstadt. Dort sammeln sich am Abend Lastwägen und Tanklaster, da sie erst ab 21.00 Uhr nach Kabul einfahren dürfen. Zwischenzeitlich war aufgrund des Brands auch der Strom in der Hauptstadt ausgefallen.
Bürgerkrieg? Soldaten und Zivilisten sind nach Nato-Truppenabzug in großer Angst
Afghanische Soldaten machen sich nach dem Beginn des Truppenabzuges zunehmend Sorgen. Man habe „kein sonderlich gutes Gefühl“, sagte ein Soldat. Lediglich die Spezialkräfte seien wirklich in der Lage, das Land zu verteidigen. Man habe bis zuletzt nicht geglaubt, dass die USA wirklich abzögen. Man wisse aber, man müsse für das Land kämpfen – „sei es jetzt mit oder ohne Amerikaner“, sagte der Soldat. Manche Kameraden würden sich offenbar schon auf einen Bürgerkrieg vorbereiten.
Von den Bürgern wird der Abzug mit gemischten Gefühlen wahrgenommen. Lokale Medien berichten von Menschen, die sich darüber freuten und einen neuen Unabhängigkeitstag feiern wollen, wenn der letzte Soldat das Land verlassen hat. Bei anderen löst der Abzug blanke Angst aus. Vor allem finanziell gut situierte und liberale Afghanen wollen das Land verlassen. Sie befürchten eine Rückkehr des repressiven Regimes der Taliban oder einen neuen Bürgerkrieg. (dpa)