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Warum der Begriff schwierig ist: Corona: Gibt es wirklich eine „Zweite Welle“?

Genf –

Ist sie schon da oder kommt sie noch, die zweite Corona-Welle? Sammelt das Virus irgendwo neue Kräfte? Oder fordern die Menschen es heraus, indem sie nachlässig werden und rasant steigende Ansteckungsraten geradezu heraufbeschwören? Eine Bestandsaufnahme.

Warum sprechen wir überhaupt von „Welle“? Vermutlich, weil die Fallzahlen oft in Kurven dargestellt werden, die wie Wellen aussehen, sagt Heiner Fangerau vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Uni Düsseldorf.

WHO-Sprecherin: „Jahreszeit scheint Ansteckung im Moment nicht zu beeinflussen“

Pandemien verliefen aber nicht zwangsläufig in Wellen. „Die Pest grassierte im Mittelalter mehr als sieben Jahre, da kann man nicht von Wellen sprechen, bei der Cholera auch nicht“, so Fangerau.

Bei der Spanischen Grippe 1918/1919 heiße es zwar auch, die „zweite Welle“ sei schlimmer gewesen als die erste, aber Fangerau formuliert es anders: „Bei der Spanischen Grippe gab es den Effekt, dass nach einem Gipfel im Frühjahr erst im Herbst und Winter wieder mehr Menschen erkrankten als im Sommer.“

Dazu verweist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aber auf die USA, wo die Infektionen gerade im Sommer rasant gestiegen sind. „Die Jahreszeit scheint die Ansteckungen im Moment nicht zu beeinflussen“, sagt WHO-Sprecherin Margaret Harris. „Was das Infektionsgeschehen aber beeinflusst, sind Massenveranstaltungen, sich mit Leuten treffen und keinen Abstand halten.“

Experte sicher: „Wir müssen mit Corona-Virus leben“

Mit dem Virus als Welle beschäftigt sich auch Dirk Brockmann von der Berliner Humboldt-Uni. Der Physiker ist Spezialist für computergestützte Epidemiologie und macht Modelle, wie Pandemien sich entwickeln. Doch bei Corona sei das sehr schwierig, sagt er: „Ich mache das seit 15 Jahren, aber diese Sache ist wirklich Neuland.“

Zurzeit funktionierten seine Modelle höchstens mit Vorhersagen wie diesen: WENN die Menschen sich so verhalten wie vor der Pandemie, gehen die Infektionszahlen wieder nach oben. WENN alle eine Maske tragen, reduziert das die Neuinfektionen um X Prozent.

Sein Kollege Fangerau zieht zwei Lektionen aus der historischen Betrachtung von Pandemien: „Erstens: Wir müssen uns darauf einstellen, mit dem Virus zu leben. Nur die Pocken sind weltweit bislang ausgerottet worden, und das hat trotz Impfstoffs Jahrzehnte gedauert“, sagt er.

Welle hin oder her – In erster Linie geht es um Virus-Unterdrückung

„Zweitens: Wir müssen auf Prävention setzen, um Ansteckungen auf ein Minimum zu begrenzen.“ Dazu gehörten Verhaltensregeln, aber auch die Beseitigung von Infektionsherden. Bei der Cholera sei es die Reinigung von Wasser in Städten gewesen. Heute seien es etwa Änderungen bei Wohn- und Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen.

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WHO-Nothilfekoordinator Michael Ryan kann dem Begriff „Welle“ dennoch nichts abgewinnen; wenn er darauf angesprochen wird, steigt sichtbar sein Puls. Sich am runden Tisch die Köpfe über eine zweite Welle heißzureden, bringe nichts, sagt er immer wieder. „Wir können akademisch über eine zweite Welle streiten, aber das ist nicht die Diskussion, die wir brauchen.“ Es gehe darum, das Virus zu unterdrücken mit allem, was nötig ist – Welle hin oder her. (dpa)

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