Corona in Deutschland: Warum sterben bei uns weniger Menschen als in anderen Ländern?
Genf –
Angesichts der vielen Corona-Infektionen in Deutschland ist die Zahl der Todesfälle erstaunlich gering. Hatten wir bislang einfach Glück? Eine Spurensuche.
Italien hat 20 Mal höhere Sterblichkeit als Deutschland – doch weshalb?
Die Welt ist wegen der Coronavirus-Pandemie im Ausnahmezustand. Das Virus Sars-CoV-2 macht vor keiner Grenze halt. Regierungen auf der ganzen Welt bereiten sich auf das Schlimmste vor. Deutschland sticht mit einer relativ niedrigen Zahl von Toten gemessen an der Gesamtzahl der registrierten Fälle – der sogenannten Fallsterblichkeitsrate – hervor.
Bis Dienstag, 24. März, hatte etwa Italien nach Zahlen der Johns Hopkins Universität mehr als doppelt so viele Fälle wie Deutschland, die Fallsterblichkeit lag dort aber mehr als 20 Mal höher als in Deutschland. Das gibt auch Wissenschaftlerin ein Rätsel auf…
Warum gibt es in Deutschland weniger Corona-Tote als in anderen Ländern?
Es gibt aber diverse Faktoren die mit großer Wahrscheinlichkeit eine Rolle spielen. Hier eine Übersicht:
- EPIDEMIE-ZEITPUNKT: „Italien, Spanien, diese Länder sind wahrscheinlich schon weiter in der Epidemie als Deutschland“, sagt Pebody. Dort dürften die ersten Fälle schon viel früher unentdeckt aufgetaucht sein und das Virus habe sich wahrscheinlich unbemerkt in der Bevölkerung verbreitet. Es dauere nach der Infektion eine Weile, bis sich Komplikationen einstellten. Viele Patienten seien wochenlang auf der Intensivstation, bevor sie sterben.
- ENGES ZUSAMMENLEBEN: In Italien rücken die Menschen näher zusammen – Familien leben beispielsweise eher gemeinsam in einem Haus. Der Deutsche ist da etwas distanzierter. Der Fachbereich der Uni Bonn hat das treffend zusammengefasst. „Wenn sich die arbeitende Bevölkerung in hohem Maß infiziert, dann ist das für Bevölkerungsstrukturen wie in Deutschland oder Skandinavien, wo wir weniger generationsübergreifende Formen des Zusammenlebens kennen, weniger dramatisch“, erläutert Moritz Kuhn, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn sowie im Exzellenzcluster ECONtribute: Markets & Public Policy. „In Ländern wie Italien, in denen Ältere oft mit der gesamten Familie unter einem Dach wohnen, steigt dann der Anteil der Krankheitsverläufe mit tödlichem Ausgang deutlich.“ Sobald das Virus auch unter Älteren gestreut hat, komme es zu einer Kettenreaktion, die das Gesundheitssystem überlastet.
- ALTER: Weil in vielen Ländern sehr wenig getestet wird, kennt man nur das Durchschnittsalter der nachweislich Infizierten. Es dürfte aber viele jüngere Leute geben, die das Virus ebenfalls schon hatten und keine oder nur milde Symptome spürten. Unter den nachweislich Infizierten ist das Durchschnittsalter in Italien viel höher als in anderen Ländern, auch Deutschland. „Durchschnittsalter Coronafälle Deutschland: 45 Jahre, Italien: 63 Jahre“, twitterte der deutsche Bevölkerungsforscher Andreas Backhaus jetzt. Das Robert Koch-Institut (RKI) nennt nur die Altersgruppe ab 60, nicht ab 70 Jahren. Selbst da liegt der Anteil in Deutschland deutlich unter den italienischen Werten: Anfang der Woche waren 19 Prozent der nachweislich Infizierten in Deutschland über 60, mehr als die Hälfte waren zwischen 35 und 59. Gerade mit Blick auf Italien ist wichtig zu betonen: Es geht um nachgewiesene Fälle.
- TESTEN: Die angegebene Altersstruktur der Fälle in verschiedenen Ländern sagt nämlich vor allem etwas über das Testen in einem Land. Würden in Italien mehr Jüngere getestet, sähe die Fallsterblichkeit wahrscheinlich ganz anders aus. Der Nothilfe-Koordinator der WHO, Michael Ryan, verweist auf die hohe Dunkelziffer bei den Infektionen: „In Deutschland gibt es eine sehr aggressive Teststrategie, deshalb dürften dort unter der Gesamtzahl der bestätigten Fälle mehr milde Fälle sein.“ Pebody sagt, in manchen Ländern werde bei Verstorbenen nachträglich ein Test gemacht, in anderen nicht. Auch das ändere die Statistik. Und: Je weiter fortgeschritten eine Epidemie, desto schwieriger werde es für ein Land, viel zu testen, weil das Gesundheitssystem einfach überfordert sei.
- QUALITÄT DES GESUNDHEITSWESENS: Drei Faktoren seien entscheidend: 1.) die Zahl der Intensivbetten, 2.) ausreichend Schutzkleidung und 3.) gut ausgebildetes Personal auf den Intensivstationen. Italien mit rund 60 Millionen Einwohnern hatte vor der Krise nach Behördenangaben 5000 Intensivbetten. Großbritannien mit 66 Millionen Einwohnern hatte nach Angaben des nationalen Gesundheitsdienstes 4100 Intensivbetten. In Deutschland mit rund 80 Millionen Einwohnern gibt es etwa 28.000, und diese Zahl soll sogar nun verdoppelt werden!
Jetzt ist Testen extrem wichtig
Insgesamt sind Experten einig, dass rigoroses Testen, Isolieren von Infizierten sowie Quarantäne für Menschen, die mit Infizierten in Kontakt waren, die Epidemie bremsen. Und zwar überall auf der Welt.
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Südkorea und Singapur haben dies konsequent umgesetzt. In manchen Ländern seien auch Ausgangsbeschränkungen nötig, um die Ausbreitung zu verlangsamen, so die WHO. Die Fallsterblichkeitsrate – in Deutschland zurzeit etwa 0,4 Prozent – beträgt in Südkorea gut 1 Prozent, in Singapur etwa 0,3 Prozent.
Überwachungsmethoden in Asien extrem
Die asiatischen Überwachungsmethoden sind für Europäer allerdings ziemlich krass: In Singapur gibt es nun eine staatliche App fürs Smartphone, bei der sich via Bluetooth herausfinden lässt, wer sich mehr als 30 Minuten in weniger als zwei Metern Abstand eines Infizierten aufgehalten hat. Das wäre (momentan) noch nicht bei uns in Deutschland denkbar. (dpa/dok)