Citroën Ami: Elektro-Würfel auf Rädern
Mein lieber Freund. Mit dem Unikum Ami hat Citroën einmal mehr einen wirklich ungewöhnlichen Wagen in die Serienproduktion gebracht. Ob es tatsächlich ein „echtes“ Auto ist, darüber ließe sich trefflich diskutieren. Bei den Zulassungsbehörden wird der kultige Elektro-Würfel auf Rädern jedenfalls in der Kategorie Motorroller geführt. Deshalb darf der Ami bereits mit dem Führerschein AM, also auch schon von Jugendlichen ab 15 bzw. 16 Jahren (je nach Bundesland) gefahren werden. Für den französischen Autobauer ist der kleine Freund indes schlicht die Mobilitätslösung der Zukunft und geradezu prädestiniert für die wuselige Großstadt.
Citroën-Pressesprecher Christopher Rux: „Wenn eine Marke außergewöhnliche Fahrzeugkonzepte auf die Straße bringen kann, dann sicherlich Citroën.“ So findet sich auch eine Reminiszenz der legendären Ente (2CV) im neusten Wurf der Franzosen wieder. Die unaufgeregten, gleichsam praktischen Klappfenster hat der Ami von Citroëns berühmter Studenten-Schaukel geerbt. Den bemerkenswerten Auftritt ebenfalls. Schon beim ersten Hallo kurz vor dem Fahrtest durch den Großstadt-Dschungel reibt sich der MOPO-Autor erstaunt die Augen. Ist das Science-Fiction oder Realität? Wo ist vorn, wo ist hinten? Wie und wo steigt man am besten in die schräge Schachtel aus Blech und Hartplastik ein?
Alles ganz einfach, so wie Ausstattung und Komfort. Front und Heck lassen sich gut an den Leuchten und dem Nummernschild erkennen. Wo selbiges in Deutschland sitzen wird, ist für den in Frankreich bereits zugelassenen Ami noch nicht abschließend geklärt. Denn: Roller haben hierzulande ihr Nummernschild nur hinten. Rux: „Gute Frage. Müssen wir bis zum Handelsstart Ende des ersten Quartals 2021 geregelt haben.“ Vieles ist noch Neuland eben. So wie der Einstieg. Denn der erfolgt über die sich gegenläufig öffnende Fahrertür. Der Beifahrer steigt klassisch ein. Ex- und Interieur sind wirklich schlicht. Motto: Minimalismus ist der neue Luxus. Zwei Personen können auf zwei spartanischen Hartschalensitzen Platz nehmen. Ein wenig Komfort bieten die etwa vier Zentimeter dicken Sitzpolster – Ryanair und vor allem Kopfsteinpflaster lassen grüßen.
Und auch der Rest ist überschaubar. Eine Lasche als Türöffner, ein kleines Info-Display auf dem Legostein-ähnlichen Armaturenbrett und rechts vom Lenkrad eine Halterung für die Smartphones dieser Welt. Wer Musik hören will, muss sein Abspielgerät schon selbst mitbringen. In einer kreisrunden Aussparung finden dafür Alexa und Co. Platz. Das war`s. Rückspiegel? Fehlanzeige! Muss eben über die beiden Außenspiegel gehen. Hupe? Als Knopf gut versteckt, dafür umso lauter. Dazu ein etwas zu langer und deshalb am rechten Bein schubbernder Handbremshebel.
Damit es wenigstens mit dem Supermarkteinkauf klappt, gibt’s einige Ablagen vorn und hinter den beiden Sitzen. In den Beifahrerfußraum passt zudem ein Handköfferchen. Rux: „Dort ist Platz für rund 63 Liter Gepäck.“ Darüber hinaus können rechts an einen Haken Rucksack oder Einkaufstasche gehängt werden. Unorthodox und puristisch zugleich sind auch Instrumentenanzeige und Fahrprogrammauswahl. Über einen rechteckigen Schalter links unten, zwischen Tür und Fahrersitz, werden die Fahrmodi Vorwärts (D), Neutral (N) und Rückwärts (R) gewählt. Das Info-Display zeigt ebenfalls nur drei Werte an: Geschwindigkeit, Ladezustand und Reichweite. Der Akku des futuristischen Elektro-Würfels hat eine Kapazität von 5,5 kWh. Damit soll er 75 Kilometer weit kommen. Die Ladezeit beträgt rund drei Stunden an einer gewöhnlichen Steckdose. Der Stecker sitzt am Karosserie-Rahmen auf der Beifahrerseite und lässt sich wie bei einem Staubsauger herausziehen.
Insgesamt hat Citroën nur 250 Teile verbaut. Mit Batterie wiegt der Winzling lediglich 471 Kilo und mit 2,41 Meter Fahrzeuglänge (28,5 Zentimeter kürzer als ein Smart) passt er in nahezu jede Parklücke. Drehen (Wendekreis: 7,20 Meter) kann er auf dem Bierdeckel. Die 9 PS sind beim Ampelstart sofort da. Nur hintenraus geht dem exzentrischen Stadtfloh etwas die Luft aus. 45 km/h Spitze könnten im hektischen Feierabendverkehr für Unmut sorgen. Bei der Testfahrt überwog jedoch das Staunen, ob der skurrilen Optik. Der MOPO-Autor wurde buchstäblich angeguckt wie ein Auto und noch nie so viel fotografiert.
Wer aber soll auf den Ami wirklich abfahren und wer soll ihn überhaupt kaufen? Rux: „Urbane Großstädter, Automobil-Hippster, Unorthodoxe und Etablierte, Zweit- und Drittwagenbesitzer, besorgte Eltern, die für ihren Nachwuchs statt Scooter oder Roller lieber ein vermeintlich sicheren, kastigen City-Knirps auf vier Rädern vorgesehen haben.“ Und der Citroën-Pressesprecher weiter: „Genau genommen sind den Käuferschichten keine Grenzen gesetzt. Eigentlich passen viele Zielgruppen verschiedenster Couleur und irgendwie alle!“ Bleibt noch der Preis. In Frankreich rollt die Ami-Basis für 6.900 Euro vom Hof. In einem ähnlichen Gefüge soll der Einstieg auch hierzulande liegen. Ob der Würfel-Stromer förderfähig ist (900 Euro in Frankreich), ist ebenfalls noch nicht entschieden.