Grippeschutz bei Corona: Jetzt impfen lassen?
Corona hat uns voll im Griff und jetzt kommt auch noch die Grippe-Zeit. Wer sollte sich jetzt impfen lassen? Was passiert eigentlich bei einer Impfung? Und wann kommt endlich der Corona-Impfstoff? Infektiologe Dr. Thomas Buhk vom Infektionsmedizinischen Centrum Hamburg (ICH) sprich mit MOPO-Redakteur Stefan Fuhr über die Grippeschutz-Impfung und über Corona.
MOPO: In jedem Herbst stellt sich die Frage nach der Grippeschutzimpfung. Sollte die in diesem Corona-Jahr eigentlich Pflicht sein?
Dr. Thomas Buhk: Eine Impfung darf nicht eine Verpflichtung sein. Ich rate aber jedem, sich gegen Grippe impfen zu lassen, der über 60 Jahre alt ist oder unter einer chronischen Erkrankung leidet. Sie sind einfach empfänglicher für einen schwereren Verlauf einer Grippe.
Wie sieht es mit jüngeren Menschen aus?
Wenn jüngere Menschen. z.B. mit ihren Großeltern in einem Haushalt leben und diese schützen wollen, dann halte ich auch eine Impfung für sinnvoll. Natürlich verweigere ich keinem eine Impfung, aber für nötig ist sie nur für die beschriebene Personengruppe.
Würde sich eine Grippeschutzimpfung auch bei einer möglichen Corona-Infektion positiv auswirken?
Das Risiko sowohl eine Grippe als auch eine Corona-Infektion gleichzeitig zu bekommen, halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Wie ein solcher Verlauf wäre, das wissen wir ja gar nicht. Corona und Grippe werden auch von völlig unterschiedlichen Viren ausgelöst. Ich halte nichts davon, jetzt eine Panik zu schüren. Ja, ich bin für eine Grippeschutzimpfung, aber bitte keinen Druck aufbauen a lá ‘Wenn du dich jetzt nicht impfen lässt und Corona bekommst, dann könntest du sterben’. Es kommen auch freiwillig viele Menschen in die Praxen und wollen sich impfen lassen. Aktuell gibt es in Hamburg gar keinen Impfstoff mehr. Wir hoffen, dass er Ende Oktober / Anfang November wieder lieferbar ist.
Wann ist denn die beste Zeit, sich gegen Grippe impfen zu lassen?
Wir haben vor etwa sechs Wochen begonnen, weil wir schon ahnten, dass der Impfstoff knapp werden könnte. Man sagt, eine Impfung schützt ungefähr vier bis sechs Monate – damit kommen wir jetzt bis März. Das ist eine gute Zeit. Man muss aber auch bedenken, dass der Schutz bei der Grippeimpfung, anders als z.B. bei der Impfung gegen Masern, kein 100 prozentiger Schutz ist. Wir liegen so bei 50 bis 70 Prozent. Also: Auch wer sich hat impfen lassen, kann an einer Grippe erkranken. Meistens verläuft diese dann aber harmloser als ohne Schutz. Einen kompletten Schutz kann es nicht geben, weil die Viren sehr mutagen sind, d.h. sich von Jahr zu Jahr verändern.
Wie läuft eine Impfung ab?
Es gibt einen kleinen Piks mit einer sehr dünnen Nadeln in den Oberarmmuskel unterhalb des Schultergelenks und eine kleine Menge Flüssigkeit wird injiziert. In dieser Flüssigkeit sind Antigene also tote Virusteile. Unser Körper stimuliert dann die Antikörper-Produktion. Wenn man jetzt mit echten Grippe-Viren in Kontakt kommt, dann hat unser Körper die passende Immun-Antwort schneller parat.
Fühlt man sich nach einer Impfung krank?
Vorweg: Man kann sich durch eine Grippeschutzimpfung nicht mit Grippe anstecken. Aber der Körper reagiert auf die Impfung. Er weiß jetzt nicht, sind es echte Viren oder eben nur die Impfung. Was man bekommen kann, ist eventuell ein bisschen Fieber oder Schüttelfrost. Also leichte Symptome wie bei einem grippalen Infekt. Wer eine wichtige Prüfung zu schreiben hat, oder als Sportler an einem Wettkampf teilnehmen will, sollte die Impfung vorsichtshalber verschieben. Auch wer keine Symptome hat, sollte nach der Impfung besser auf Oberarmtraining im Fitness-Studio verzichten. Joggen ist aber durchaus okay.
Impfgegner sagen, dass der Impfstoff aus Wirkungsverstärkern und Chemikalien besteht, die giftig sind.
Ich verstehe jeden, der skeptisch ist oder auch Zweifel hat. In Bezug auf die Grippeschutzimpfung kann ich aber beruhigen: Im Impfstoff ist kein Wirkungsverstärker und auch kein Aluminium. Beim Grippeschutz ist die Forschung ja auch sehr weit, so dass man sich darauf verlassen kann, dass man nicht zu Schaden kommt.
Gibt es aus Ihrer Sicht noch weitere Impfungen, die gerade jetzt in Corona-Zeiten sinnvoll sind?
Es macht auf alle Fall Sinn, sich jetzt auch gegen Pneumokokken impfen zu lassen. Pneumokokken sind Bakterien, die eine Lungenentzündung hervorrufen können. Wer eine Grippe oder eine Corona-Infektion bekommen sollte, der ist auch anfälliger für Pneumokokken. Aber hier haben wir das gleiche Problem wie bei der Grippe: Zurzeit ist der Impfstoff vergriffen. Das ist für mich auch nicht verständlich. Der Impfstoff ist ja bereits produziert und liegt in irgendwelchen Kühlschränken. Ich kann es nicht nachvollziehen, warum man es nicht hinbekommt, mehr Impfstoff zu liefern.
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Wollen wir einen Blick in die Glaskugel werfen? Was glauben Sie, wann werden wir einen Corona-Impfstoff haben?
Im Augenblick können wir ja noch gar nicht sicher sein, ob wir überhaupt einen Impfstoff bekommen. Es gibt noch keine fertige Studie, die bewiesen hat, dass es einen Impfstoff gibt, der nicht nur verträglich ist, sondern der auch wirkt und mich vor einer Corona-Infektion schützt. So wie manche Politiker reden, ist es manchmal eher die Hoffnung der Verzweifelten. Die Vorstellung, wir könnten vielleicht gar keinen Impfstoff bekommen, ist ja ein Alptraum. Ich will keine Panik verbreiten, aber mit einer solchen Situation müssten wir möglicherweise umgehen. Und das wird auch möglich sein.
Aber weltweit suchen doch fast alle Labore nach einem Impfstoff…
Richtig. Aber weltweit haben wir auch mit einem irren Aufwand nach einem Impfstoff gegen HIV oder Hepatitis C gesucht. Und der ist bis heute nicht gefunden. Und übrigens auch gegen die anderen – normalen – Coronaviren wurde schon nach einem Stoff gesucht und bisher nicht gefunden. Aber natürlich halte ich es für möglich, dass ein Impfstoff gefunden wird. Aber dann stellt sich die Frage: Wie hoch wird der Schutz sein. Wie bei der Grippe 50 bis 70 Prozent? Aber ich bin ein optimistischer Mensch… Frühestens könnte es für die breite Masse einen Impfstoff im nächsten Frühling geben. Zum Vergleich: Eine normale Impfstoff-Entwicklung dauert eher fünf Jahre.
Es gibt ja schon zwei Impfstoffe aus Russland…
Da fehlen mir aber die Daten, um eine Einschätzung abgeben zu können. Beim ersten habe ich nur mitbekommen, dass er nicht so gut gewirkt hat, deshalb gibt jetzt ja vielleicht auch den zweiten, der möglicherweise besser wirkt.
Wir müssen also noch mit den Einschränkungen leben?
Ich will Corona nicht verharmlosen. Aber für den einzelnen Menschen ist Corona keine Erkrankung, die mich mit dem Tode bedroht. Es ist eine Erkrankung, die vermeidbar sein sollte. Deshalb tragen wir die Maske, waschen uns oft die Hände, halten den Abstand, lüften und benutzen die Corona-Warn-App. Wenn man aber doch von der Corona-Infektion getroffen wird, dann hat man trotzdem eine Chance von über 99 Prozent, dass man diese auch gut übersteht.
Wir müssen uns mit dem Virus arrangieren…
Wir werden die nächsten Jahre mit dem Virus leben müssen. Und ich glaube auch, dass man in dieser Pandemiezeit mit besonnenen und klugen Maßnahmen gut leben kann, das Coronavirus lässt sich nun mal nicht eradizieren, die politischen Entscheidungen müssen immer verhältnismäßig bleiben und dürfen keine zusätzlichen Ängste schüren. Wir sollten uns vor einer Virusinfektion schützen und unsere Gesellschaft sollte mit diesen Schutzmaßnahmen möglichst uneingeschränkt bleiben, dies hinzubekommen ist die große Kunst.
Dieses Interview ist ein Auszug aus dem MOPO-Gesundheitspodcast „Butter bei die Nierchen“. Den gibt es überall dort, wo es Podcasts gibt z.B. Apple Podcast oder Spotify.