Läuft wie geschmiert – wenn der Knorpel intakt ist
Unsere Kniegelenke gehören mit zu den wichtigsten Gelenken im Körper. Wenn es hier nicht rundläuft, ist an eine schmerzfreie Fortbewegung nicht zu denken. Aber: Knieschmerzen gehören heutzutage zu den häufigsten orthopädischen Beschwerden. Geschätzte zehn Millionen Deutsche haben Knieprobleme. Damit die Gelenke einwandfrei funktionieren, arbeiten viele Sehnen, Bänder und Muskeln gut miteinander. Auch der Knorpel nimmt eine wichtige Stellung ein. Was genau die Funktion des Knorpels ist und was bei einem Schaden getan werden muss, erklärt Dr. Matthias Holger Wolff aus dem Agilis-Gelenkzentrum in Hamburg-Eppendorf. Er ist Praxispartner und Spezialist für Knorpelschäden.
MOPO: Ohne Knorpel läuft es nicht rund im Knie. Stimmen Sie dem zu?
Dr. Matthias Holger Wolff: Der Knorpel bildet die Gleitschicht – übrigens nicht nur im Knie. Ohne diese Schicht läuft kein Gelenk wirklich rund.
Was ist eigentlich Knorpel?
Man kann es als eine Gewebestruktur beschreiben, die zusammen mit Knorpelzellen und Proteinen eine feste, aber elastische Matrix bildet und die Gelenke überzieht – alle Gelenke in unserem Körper sind mit diesem Stützgewebe umspannt. Der Knorpel ist nicht durchblutet und hat auch keine Nerven.
Die Gelenke haben ganz schön viel zu tun. Alleine das Knie wird circa 15.000 Mal pro Tag bewegt und federt mehrere Tonnen an Gewicht ab. Nutzt sich der Knorpel auch ab?
Die Zahl klingt hoch, aber es ist gut, dass wir unsere Gelenke pro Tag Tausende Male bewegen. So behalten sie ihre Beweglichkeit. Gelenke, die lange ruhiggestellt sind, werden steif. Beim Knie ist es aber besonders spannend, weil es eben auch hohes Gewicht abfedern muss. Ein Beispiel: Wenn man das Knie nur circa 60 Grad beugt, also keine komplette Kniebeuge vollzieht, dann drückt durch die Hebelwirkung auf den Knorpel hinter der Kniescheibe das bis zu Sechsfache des eigenen Körpergewichts. Und wenn man jetzt noch springt oder Sportarten mit vielen Laufrichtungswechseln betreibt, dann ist man schnell bei einer Tonne Anpressdruck. Das ist eine hohe Belastung. Wenn der Knorpel nicht perfekt am Gelenk gleitet, dann kommt es schnell zu Problemen wie einem schnelleren Verschleiß.
Das ist dann die Arthrose?
Da muss man ein bisschen differenzieren. Nicht jeder Knorpelschaden ist gleich eine Arthrose. Arthrose bedeutet Abnutzung über das altersübliche Maß hinaus. Das beinhaltet, dass wir davon ausgehen, dass der Knorpel im Laufe der Jahre verschleißt. Und je nachdem wie schnell man damit ist, hat man irgendwann eine Arthrose. Vorher sprechen wir von einem Knorpelschaden. Wer sich im Fitness-Studio Gewichte auf die Schultern lädt und dann Squats – also Kniebeugen – macht, läuft schon Gefahr, dass der Knorpel Schaden nimmt. Solange die Kniescheibe einen optimalen Lauf hat, ist alles okay. Aber wenn nur etwas unrund läuft, dann ist der Verschleiß programmiert. Diese Squats halte ich auch für eine ganz schlechte Übung.
Was schadet dem Knorpel noch?
Bei einem Schlag auf das Knie, etwa bei einem Unfall, kann es passieren, dass sich Knorpelstückchen ablösen oder absterben. Eine immer wiederkehrende einseitige Belastung kann das Gewebe stressen, sodass es schneller verschleißt. Auch Instabilitäten im Knie wie nach einem Bänder- oder Kreuzbandriss oder Fehlstellungen wie X- oder O-Beine führen zu einseitigen Belastungen und stressen den Knorpel ebenfalls.
Und wenn der Knorpel weg ist, dann reibt Knochen auf Knochen. Das muss sehr schmerzhaft sein …
Ein Knorpelschaden selbst muss gar nicht wehtun. Wie schon gesagt: Das Gewebe ist nicht durchblutet und hat keine Nerven. Die Knochen sind aber gut mit Nerven versorgt. Wenn also Knochen auf Knochen reibt, dann macht es Schmerzen. Allerdings kommt jetzt noch hinzu, dass es meistens zusätzlich noch zu einer Entzündungsreaktion kommt. Denn durch den Abrieb kommt es zu vielen kleinen Fremdkörpern im Knie. Unser Immunsystem versucht, diese dann abzubauen. Außerdem führt diese Entzündung zu einem Anstieg von Flüssigkeit – das Knie schwillt in der Folge an und auch das ist schmerzhaft.
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Gibt es denn schon Anzeichen auf einen Knorpelschaden, bevor es wehtut?
Das Tückische ist, dass kleine Defekte wirklich lange Zeit unauffällig bleiben können. Vor allem, wenn sie auch an Stellen sind, die nicht die Hauptlast tragen. Nichtsdestotrotz gibt es Frühwarnungen: Wenn das Knie häufig knackt und knirscht oder nach einer Belastung anschwillt und wehtut. Oder natürlich auch während der Belastung schmerzt. Das sind – vor allem wenn sie vermehrt auftreten – Warnhinweise, die an einen Knorpelschaden oder zumindest an ein mechanisches Problem im Gelenk denken lassen.
Wie geht es dann weiter – Stichwort Spiegelung?
Ich kann alle beruhigen: Die diagnostische Gelenkspiegelung ohne gleichzeitige Therapie gehört heute nicht mehr zum Standard und ist eher die Ausnahme. Ich beginne mit einer ausführlichen Anamnese – also der Patient erzählt mir genau von seinem Problem. Da kommt man dann meistens schon auf die richtige Spur. Danach untersuche ich den Patienten körperlich, schaue mir die Beinachsen an, nehme das Knie in die Hand. Man merkt als Untersucher schnell, wo es im Gelenk nicht rundläuft, wo es knirscht oder etwas reibt. Erhärtet sich der Verdacht auf einen Knorpelschaden, dann kommt es auch auf das Alter des Patienten an. Wir hatten ja schon besprochen, dass ein Knorpelschaden zu einer Arthrose führen kann. Das gilt es dann im Röntgen abzuklären. Auf dem Röntgenbild sieht man knöcherne Veränderungen und kann so auch Rückschlüsse auf den Knorpel ziehen. Der Knorpel selbst wird beim Röntgen nicht sichtbar. Deshalb schicke ich jüngere Patienten sofort ins MRT. Hier werden die Gewebestrukturen dargestellt und geben einen guten Aufschluss über Struktur und Qualität. Die MRT-Untersuchungen sind mittlerweile so gut, dass wir im Normalfall auf eine diagnostische Knie-Spiegelung verzichten können.
Kann ein defekter Knorpel von selbst wieder heilen?
Wir kommen mit unserem Knorpel auf die Welt und haben dann Zeit, ihn zu verbrauchen. Er ist sehr stabil und kann ja auch mehreren Tonnen Druck standhalten. Wenn zum Beispiel die oberflächlichen Schichten des Knorpels etwas aufgeraut sind, dann haben wir gute Chancen, dass sich dieser Schaden beruhigt. Aber heilen wird es nicht. Allerdings kann der Körper eine Art Ersatzknorpel, den Faserknorpel, bilden. Der ist zwar bei Weitem nicht so stabil, kann aber zu einer Verbesserung der Beschwerden führen.
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Und wie behandeln Sie Ihre Patienten?
Da stehen uns verschiedene Methoden zur Verfügung. Früher wurden häufig im Rahmen einer Knie-Spiegelung kleine Knorpeldefekte nur abgetragen – die so genannte Abrasion. Etwas differenzierter ist die Knorpelrandstabilisierung/Glättung – die Chondroplastik. Bei der Mikrofrakturierung werden kleine Löcher in den Knochen unter dem Knorpelschaden oder in den umgebenden freien Knochen gebohrt. Man hofft, dass sich Stammzellen, die im Knochenmark reichlich vorhanden sind, freisetzen und sich zu Faserknorpel differenzieren. Dieses Verfahren wurde verfeinert, in dem man über die gebohrten Löcher noch eine Membran aus Kollagen-Matrix legt, um die Eigenblutung an Ort und Stelle zu halten und so eine gelenkte Reparatur herbeizuführen. Dann gibt es die OATS: Das bedeutet, man entnimmt Knorpelzylinder aus Arealen des Knies mit dem drunterliegenden Knochen, wo man den Knorpel eigentlich nicht braucht. Im Knie gibt es ein paar Reservezonen. Diese entnommenen Stempel setzt man dann passgenau in die Defekte. Dadurch wächst der Knochen mitsamt Knorpel ein und man generiert wieder eine intakte Knorpeloberfläche. Interessant ist auch das Verfahren, das ich sehr viel anwende. Man entnimmt intakte Knorpelzellen aus dem Knie und schickt es zusammen mit etwas Blut des Patienten an ein Speziallabor. Hier werden aus den Knorpelzellen über Wochen weitere angezüchtet. Diese werden dann in das Gelenk implantiert. Dann gibt es noch die Möglichkeit direkt Knorpel aus den Reservezonen zu gewinnen, zu zerkleinern und mit körpereigenem Blutklebstoff sofort wieder in die Defekte einzukitten. Das als kurzer Überblick über mögliche operative Eingriffe. Was man nicht vergessen darf: Wenn der Arzt sagt, der Knorpel ist noch zu reparieren, dann ist das etwas Gutes. Ich habe kein Verständnis dafür, dass immer noch häufig generell von Operationen abgeraten wird! Denn wenn der Knorpel nicht mehr repariert werden kann, dann muss man über ein künstliches Gelenk nachdenken. Wer diese Ratschläge gibt, sollte sich mit der Materie schon sehr gut auskennen.
Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Podcast „Butter bei die Nierchen“, den Sie überall hören können, wo es gute Podcasts gibt. Und auch gleich hier unten im Player. Im Podcast erzählt Dr. Wolff noch, ob man nach einer OP immer zur Reha muss, welche OP-Alternativen es gibt, ob Nahrungsergänzungsmittel gut für den Knorpel sind und welche Sportarten sich günstig auswirken.