• Die "Superman"-Stellung stärkt den Rücken. Dr. Alexander Richter korrigiert die Haltung bei MOPO-Redakteur Stefan Fuhr.
  • Foto: Sven Brügmann/ENDO-Klinik, hfr

Schmerzen dank Home-Office?: Mit „Superman“ zu einem starken Rücken

Vom Bett direkt an den Computer? Das klingt erst einmal nach einem großen Benefit. Aber Home-Office bedeutet für viele von uns auch: arbeiten am Küchentisch. Die wenigsten haben ein komplett ergonomisch eingerichtetes Büro zu Hause. Da auch die Fitness-Studios zurzeit geschlossen haben, bewegen wir uns auch weniger. Eine aktuelle Studie sagt, dass 81 Prozent der Deutschen unter Rückenschmerzen leiden. Bei einem Drittel haben sich die Schmerzen seit Corona sogar noch verstärkt. Mit dem Orthopäden Dr. Alexander Richter, leitender Arzt für Wirbelsäulenchirurgie an der ENDO-Klinik in Hamburg, hat MOPO Chef vom Dienst Stefan Fuhr darüber gesprochen, was dem Rücken auch während des Lockdowns guttut.

MOPO: Es heißt: Sitzen ist das neue Rauchen. Ist da etwas dran?

Alexander Richter: Ja, da ist sicherlich etwas dran. Natürlich ist das Rauchen weiterhin ein großes Problem, auch wenn es durch diesen Spruch etwas in den Hintergrund gedrängt scheint. Das Sitzen steht hier aber für den Bewegungsmangel im Allgemeinen. Es gibt Erhebungen, die zeigen, dass noch in den 50er Jahren jeder Deutsche ungefähr zehn Kilometer zu Fuß gelaufen ist. 2016 waren es gerade noch 700 Meter. Gleichzeitig hat das Gewicht immer mehr zugenommen. Auch bei unseren Kindern ist das ein relevantes Problem: 16 Prozent sind übergewichtig, sechs Prozent sogar adipös. Nur ein Drittel aller Jungen und ein Fünftel aller Mädchen bewegen sich täglich mehr als eine Stunde. Wir schieben also ein relevantes Problem vor uns her.

Könnte zur Selbstdisziplinierung eine Fitness-Uhr helfen?

Alles, was hilft,  sich selbst zu kontrollieren, und auch animiert,  sich mehr zu bewegen, ist begrüßenswert. Das Ziel könnten zum Beispiel täglich 10 000 Schritte sein.

Im Home-Office klagen viele über Schmerzen im Bereich „Ko-Na-Schu“ – also Kopf, Nacken, Schulter. Warum gerade dort?

Das beobachten wir in der Sprechstunde auch, genau wie Schmerzen im unteren Rückenbereich. Die Kombination aus Home-Office mit ungünstigen Sitzpositionen und weniger Bewegung trägt dazu bei, dass wir muskuläre Probleme im Kopf-Schulter-Nackenbereich bekommen. Dazu kommt aber auch noch der Faktor Stress. Zukunftsangst, Existenzangst – die seelische Belastung nimmt bei vielen zu. Sie kennen ja den Spruch: Mir sitzt ein Problem im Nacken. Neben dem Home-Office müssen beispielsweise auch die Kinder beschult und beschäftigt werden.

Ich habe den Begriff „Dynamisches Sitzen“ gelesen …

… oder auch aktives Sitzen. Man sollte unbedingt monotones Sitzen vermeiden. Also: regelmäßig die Sitzposition ändern oder jedes Telefonat im Stehen führen. Abends nach Feierabend kann ein Spaziergang helfen, dem Bewegungsmangel entgegenzuwirken.

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Der Seitstütz stärke den ganzen Körper. Gerne einen Arm dabei nach oben strecken und sich dadurch etwas mehr aufdehnen. Dr. Alexander Richter zeigt MOPO-Redakteur Stefan Fuhr diese Übung.
Foto: Sven Brügmann/ENDO-Klinik, hfr

Was schmerzt eigentlich im Rücken? Sind es die Knochen oder die Muskeln?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Der Rückenschmerz selber ist ein sogenanntes multifaktorielles Geschehen, hinter dem nicht immer ein struktureller Schaden etwa der Wirbelsäule steckt, den  man auf einem Röntgenbild oder in einer Kernspintomografie darstellen kann. Am häufigsten ist der funktionelle Schmerz, verursacht durch Muskeln und die  Faszien aufgrund von Fehlhaltung, schlechter Sitzhaltung oder Muskelermüdung,  aber auch eine Überlastung etwa nach einem intensiven Sporttraining. Häufig ist der Rückenschmerz aber auch psychisch bedingt. Wie schon gesagt: Ängste, familiäre Belastung, depressive Stimmung. Das lässt sich bildtechnisch nicht darstellen. Der Fachbegriff dafür ist unspezifischer Rückenschmerz. Ganz selten – vielleicht bei etwa zehn Prozent – finden wir wirklich einen strukturellen Schaden an der Wirbelsäule wie einen Bandscheibenvorfall.

Also kommt während Corona vieles zusammen, was einen Schmerz im Rücken auslösen kann.

Und noch etwas: Wer hat zu Hause schon einen Home-Office-Arbeitsplatz, der ergonomisch optimal eingerichtet ist!  Der Esstisch kann ja in den wenigsten Fällen auf die optimalen Arbeitsbedürfnisse eingestellt werden. Oft wird am Laptop gearbeitet, sodass auch der Bildschirm-Abstand nicht der Norm entspricht. Ja, es kommt vieles zusammen.

Trifft es Menschen jeden Alters?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Natürlich nimmt in zunehmendem Alter die Muskelkraft ab, das Bindegewebe wird schwächer und die Bandscheibenqualität verändert sich. Das sind ganz natürliche Alterungsprozesse, die ältere Menschen anfälliger für Rückenschmerzen machen. In jüngeren Jahren sind wir aktiver, sind öfter beim Sport oder stärker in familiäre Tagesabläufe eingebunden, die ebenfalls zu mehr Bewegung führen.

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Weit nach oben strecken als wolle man Äpfel pflücken. Dr. Alexander Richter und MOPO-Redakteur Stefan Fuhr machen diese Übung vor.
Foto: Sven Brügmann/ENDO-Klinik, hfr

Sport ist wichtig?

Sport ist Bewegung. Wir haben ja schon darüber gesprochen,  wie wichtig Bewegung ist. Wenn wir schon einer altersbedingten Veränderung unserer Muskulatur und unseres Gewebes unterliegen, dann sollte man das, was uns zur Verfügung steht, so gut wie möglich trainieren, um unsere Leistungsfähigkeit oder unsere körperliche Belastungsfähigkeit zu erhalten, soweit es altersbedingt möglich ist.

Gutes Stichwort. Was sind denn gute Übungen, die man auch alleine zu Hause machen kann, die den Rücken stärken?

Entspannung ist ein wichtiger Faktor. Ich muss mir etwas suchen, bei dem ich abschalten kann. Ein Spaziergang im Wald ist ja zurzeit sehr angesagt. Dabei ist wichtig, dass man den Tag so gestaltet wie einen normalen Arbeitstag. Man braucht einen Tapetenwechsel. Also: den Arbeitsplatz zur Mittagspause verlassen und vielleicht spazieren gehen. Sehr wichtig ist auch der Schlaf. Wir brauchen die Ruhepausen, damit sich die Muskulatur und das Bandscheibengewebe erholen können. Wie wichtig das ist, sieht man ja auch daran, dass wir morgens um bis zu zwei Zentimeter größer sind als abends. Es gibt aber auch ganz einfache Übungen, die jeder zu Hause machen kann. Drei Beispiele: Im Stehen einen Arm nach unten ziehen und den anderen Arm nach oben strecken, als würde man einen Apfel vom Baum pflücken wollen. Alternativ einen Arm wieder nach unten strecken und mit der anderen Hand über den Kopf greifen und ganz leicht zur Gegenseite ziehen. Den Seitenwechsel nicht vergessen. Diese Übungen dehnen den Nackenbereich. Für den unteren Rücken ist die „Superman“-Position empfehlenswert. Aus dem Vierfüßlerstand bei geradem Rücken den rechten Arm nach vorne ausstrecken und das linke Bein nach hinten. In dieser Position ein wenig aushalten, bevor der Seitenwechsel erfolgt. Wer unsicher ist, ob er die Übungen richtig macht, oder noch weitere Anregungen benötigt, kann bei YouTube nachschauen. Es gibt mittlerweile im Netz  unzählige Anleitungen für Rückenübungen, aus denen man sich einen individuellen Plan erstellen kann. Auch ein Training der Bauchmuskulatur gehört zu einem ausgewogenen Training der Rumpfmuskulatur dazu.

Helfen auch Massagen?

Massagen sind in meinen Augen nice to have. Es sind passive Maßnahmen, die nicht dazu führen, Muskulatur aufzubauen. Aber für das Wohlbefinden und den Stressabbau kann man sich – wenn Corona es wieder zulässt – durchaus eine Massage gönnen. Chirotherapie oder eine manuelle Therapie sind meines Erachtens gut wirksam, wenn Funktionsstörungen an den Gelenken oder Muskeln vorhanden sind,  und können zu einer Schmerzreduktion führen.

Sind bei akuten Rückenschmerzen auch Schmerzmittel okay?

Ja, durchaus. Wichtig ist, dass die Schmerzmittel nicht in übertriebenen Mengen eingenommen werden und auch nicht über einen langen Zeitraum.

Ab wann sollte man zum Arzt?

Schmerz ist immer ein Alarmsignal. Wenn der Schmerz nach einer Belastung vorhanden ist und wieder verschwindet, ist alles okay. Wenn der Schmerz aber nicht mehr von alleine nachlässt  oder Anzeichen dazu kommen wie ein Taubheitsgefühl im Arm, ein Kribbeln im Bein oder eine Kraftlosigkeit in einer Muskelregion, dann sind das Alarmsignale, die ärztlich abgeklärt werden sollten. Und keine Angst, dass zu schnell operiert wird: Eine Operation ist immer der letzte Schritt, nachdem alle anderen möglichen Therapien nicht geholfen haben.

Dieses Interview mit Dr. Alexander Richter ist ein Auszug aus der neuen Folge unseres Gesundheitspodcasts „Butter bei die Nierchen“. Den gesamten Podcast finden Sie bei Ihrem Podcast-Anbieter wie z. B. bei Spotify oder Apple Podcast. Dort gerne abonnieren – so verpassen Sie keine Folge. Oder einfach unten auf den Player klicken.

Im Podcast „Butter bei die Nierchen!“ sprechen wir regelmäßig mit Ärztinnen und Ärzten aus unterschiedlichen Fachbereichen darüber, wie Sie gesund bleiben oder gesund werden.

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